Rolf Dobelli, Himmelreich
Die Schweiz exportiert nicht nur den Magnetismus von Großkonzernen, der dann allenthalben wieder das Kapital in die Schweiz schickt, Schweizer Autoren kümmern sich in ihren Texten auch um die Befindlichkeiten der Manager, die diese Konzernphilosophie bis zum jeweils bitteren Ende durchziehen müssen.
Neben dem ironischen Business-Autor Martin Suter ist es vor allem Rolf Dobelli, der seinen Managerfiguren beim Älterwerden unbarmherzig auf die Finger und in die Seele schaut.
Philipp Himmelreich ist erfolgreicher Grenzgänger, der zwischen der tatsächlichen Lebensführung und dem möglichen Leben so lange hin und her zappt, bis er selbst nicht mehr weiß, wo er umgeht und so vielleicht sein privates Himmelreich findet.
Das Gerüst dieses modernen Heldenromans aus der Managerszene liest sich wie eine glatt gestrichene Erfolgsgeschichte aus der einer literarischen Kuschelbeilage. Manager Himmelreich ist auf dem Weg nach New York, um neue Geschäfte voranzutreiben. Während die Flugzeit bis zur Landung herunter gezählt wird, geilt sich sein Leben im Kopf unendlich auf.
Er hat sich also in eine Buchhändlerin verliebt, testet das salzige Gefühl eines coolen Seitensprungs, und verliert mitten in einem satten ausgeglichenen Leben die Contenance. Zwischen Himmel und Erde, Europa und Amerika, Traum und Wirklichkeit nistet sich eine Entführungsgeschichte ein, der Himmelreich mit der Zeit selbst glaubhaft erliegt.
Zuerst sind es nur die abenteuerlichen Bemerkungen seines Sitznachbarn, die Vorstellung, dass man sich mit einer Entführung selbst aus dem gewöhnlichen Leben befreien könnte, mit der Zeit wird alles zu einer seltsamen Realität.
„Für mich hat Realität den ungeheueren Vorteil, dass sie eindeutig ist, das heißt, man kann mit dem Finger auf sie zeigen. Realität ist, wenn man sie genauer untersucht, frei von Interpretation.“ (50)
Hier haben wir es also wie bei Max Frisch wieder mit einem Homo Faber zu tun, auch bei Himmelreich explodiert die Dreiecksgeschichte und am Schluss trägt der Held überraschend ein Kind in seinen Armen.
Je nach Schärfe der Realitätslust kann man als Leser Traum und Wirklichkeit selbst steuern. Die Geschichte könnte ein normaler Überflug eines Geschäftsmannes sein, der sich während des Fluges in Tagträume verliert. Die Geschichte könnte aber wahr wie die Textsequenzen sein, das heißt, Dobelli hat tatsächlich ein anderes Leben riskiert und ist zum Aussteiger und Outlaw geworden. Jedenfalls entführt die Geschichte auch den Leser, bis er nicht mehr weiß, was er von der Glaubwürdigkeit halten soll.
Wenn alles in der Wirtschaft zu managen ist, lassen sich auch die Träume und Ausstiegsszenarien managen, lautet so eine Erkenntnis.
Rolf Dobelli erzählt raffiniert, indem er ständig rasante Haken in die Realität schlägt. Die Geliebte sagt dabei öfters, dass Ulysses von James Joyce heute ein unlesbares und unverkäufliches Buch sei. Himmelreich beweist, dass man heutzutage ein Held mit klassisch tragödischen Anwandlungen sein kann, der dennoch gut lesbar ist und sich verkaufen lässt.
Rolf Dobelli, Himmelreich. Roman.
Zürich: Diogenes 2006. 383 Seiten. EUR 20,50. ISBN 978-3-257-23713-9
Weiterführende Links:
Diogenes-Verlag: Rolf Dobelli, Himmelreich
Homepage: Rolf Dobelli
Helmuth Schönauer, 24-10-2006