Xaver Bayer, Weiter

Buch-CoverDas klarste Lebensprogramm, das sich überhaupt ausdenken lässt, heißt schlicht: Weiter! Dieses kurze Ermunterungswort ist vermutlich stärker als jede Religion, Ethik oder Psychotherapie.

Schon Rolf Dieter Brinkmann hat vor etwa dreißig Jahren mit seinem berühmten Gedicht „Alles macht weiter“ einer ganzen Generation Mut zugesprochen. Darin hat er so beruhigende Gedankenschlieren verfasst wie etwa: „Die Geschichtenerzähler machen weiter, die Regierungen machen weiter, die Vorstädte machen weiter, das Papier macht weiter.“

Bei Xaver Bayer macht der Ich-Erzähler durchgehend weiter. Zu Beginn seines Erlebnislaufes stiehlt er in einem kleinen Museum einen winzigen Faustkeil aus antiker Zeit. Damit soll irgendwie an die Vergangenheit angeschlossen werden, denn auch die Gerätschaften aus der Frühzeit der Regionalkultur sind letztlich nur dazu da, dass man sie von einer Generation an die nächste weiter gibt.

Als nächstes schaut der Held, da er nun schon einmal auf dem Erinnerungstrip ist, bei sich daheim vorbei. Seine Kindheit verbrachte er in einem kleinen Ort, jetzt ist offensichtlich der Bruder noch im Baumhaus und macht nichts, als dass er eben ein Stück fleischgewordene Kindheit darstellt.

Der Erlebnis-Heroe ist mittlerweile vollkommen verstrickt in die Zeitfalle, alles kann zur Gegenwart werden, wenn man es zulässt. So ist es auch egal, was man unternimmt; wenn es nur genug weiter geht, kommt auch das entsprechende Erlebnis hinzu. Beruflich ist der Ich-Erzähler in der Computerspielbranche tätig, er analysiert die diversen Spiele, vergleicht sie mit historischen Ausgaben und kann selten unterscheiden, was ein Game ist und was sein Leben.

Die Genauigkeit, mit der er die Spiele rezensiert und kommentiert, überträgt er auch auf das Leben. So ruckeln die trivialsten Ereignisse über den Erlebnisschirm, ob es um das Überqueren einer Kreuzung, das Beachten von Vorrangstraßen oder das langsame Einsickern in die Stadt Brno geht, immer wird alles im Sekundenstil präzise und letztlich als einzelner Kader eines Erlebnisses dargestellt.

In Brno schließlich ist der gesuchte Spielentwickler nicht da, seine Schwester bedient ihn mit Informationen und entsprechendem Unterfutter, vielleicht soll der ganze Abend sogar etwas Erotisches sein, der Ich-Erzähler jedenfalls erlebt den Abend tapfer Bild für Bild und bringt ihn in vollkommener Logik zu Ende. In der Nacht geht es wieder heim, irgendwo auf einem historischen Hügel kriegt der Faustkeil eine neue Bedeutung, indem er unauffällig ausgestellt wird, die Geschichte macht weiter, indem sie sich selbst recyclet. Am Schluss kriegt der Leser einen Zettel aus dem Großelternhaus des Erzählers ausgestellt, open end. Was Sie damit anstellen ist Ihre Sache.

Xaver Bayer erzählt ähnlich kalt wie einst Peter Handke von seinem Tormann Bloch. Nur ist der Bayersche Held mittlerweile durch die Weiterentwicklung der virtuellen Welt selbst ein Stück kalte Virtualität geworden, die sich nur mit Mühe am Faustkeil der Geschichte anklammern kann. Irgendwo geht es in Richtung digitale Steinzeit, aber das Leben tut nicht weh dabei. – Als Leser geht man mit den federnden Schritten eines digitalen Helden frech und zu Erlebnissen entschlossen aus dem Buch.

Xaver Bayer, Weiter. Roman.
Salzburg: Jung und Jung 2006. 156 Seiten. EUR 18,-. ISBN 978-3-902497-12-3

 

Weiterführende Links:
Jung und Jung-Verlag: Xaver Bayer, Weiter
Wikipedia: Xaver Bayer

 

Helmuth Schönauer, 15-12-2006

Bibliographie

AutorIn

Xaver Bayer

Buchtitel

Weiter

Erscheinungsort

Salzburg

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Jung und Jung

Seitenzahl

156

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-902497-12-3

Kurzbiographie AutorIn

Xaver Bayer, geb. 1977 in Wien, lebt in Wien.