Thomas Meinecke, Musik

Buch-CoverMusik ist bei Thomas Meinecke mehr als das Handling von Tönen, genau genommen gibt es ja auch eine Musik der Geschichte, eine Musik der Erotik, und alles, was zwischen zwei Körpern abläuft, ist letzten Endes so etwas wie Musik.

Musik ist eine Universalgeschichte der Gegenwart, worin so seltsam divergente Dinge wie Heimatkunde, Geschichtsbewusstsein, Kulturempfinden, Rollenverständnis und Alltagssexualität abgehandelt werden.

Rein äußerlich gibt sich der Roman brav wie ein bayrischer Heimatroman. Das Geschwisterpaar Karol und Kandis lebt zusammen im oberbayrischen Wolfratshausen und führt ein erfolgreiches und für die Öffentlichkeit nützliches und beinahe gottgefälliges Leben. Er, Karol, ist Flugbegleiter bei der patriotische Airline Lufthansa, sein Heimatflughafen ist logischerweise jener im Erdinger Moor, der Franz-Josef-Strauß gerufen wird.

Sie, Kandis, ist Schriftstellerin und erforscht die weibliche Seele, zu diesem Zweck muss sie immer wieder auf die Alm, weil dort die Schreiberinnenseele offensichtlich am kräuterwürzigsten erblüht.

Während der Flugbegleiter die ganze Welt mit seinen Lufteinsätzen erkundet und so immer am laufenden darüber ist, was international ein Thema sein könnte, erforscht die Schriftstellerin nach klassischer Weise in diversen akademischen Quellen herum und erschließt sich diese, verfeinert mit den eigenen Gedankenergüssen.

Nach getaner Arbeit treffen die beiden aufeinander und diskutieren, bis so etwas wie eine bayrisch gewürzte Geschichte entstanden ist, die man als Sound, Stimmung, und schließlich als Musik beschreiben kann. Die Musik kommt freilich auch als Musikgeschichte vor, denn auf den Punkt gebracht ist die Musik das größte Ereignis, das den Globus umwölkt. Man nehme nur einmal die Anzahl der Sendestunden auf den diversen Rundfunkstationen her, in denen ausschließlich Musik gesendet wird.

Aus dem Mailverkehr über Musiker, der Analyse aktueller Sounds und Storys, die geeignet sind, Geschichte zu machen, entsteht plötzlich etwas Dichtes, das unter die Haut geht. Es kann als purer Sex auftauchen, sich erotisch verbrämen oder auch die Gestalt von Musik annehmen. Musik ist geil, und wir entkommen ihr nicht, es sei denn, wir würden uns unserer Körper entledigen.

Der Roman wird immer schneller und verfilzter, was sich manchmal noch als Story ausnehmen lässt, wird letztlich zu einem gigantisch frei formulierten Lexikoneintrag. Aus Zitaten der Alltagspresse entsteht allmählich ein skurriles Lehrbuch, das die Gegenwart beschreibt.

Schwarzenegger: Ich glaube, daß die Schwulen-Ehe etwas ist, das einem Mann und einer Frau vorbehalten sein sollte. (367)

Die Gegenwart ist durchaus komisch, wenn schräge Wortkünstler darin politische Parolen installieren. Thomas Meineckes „Musik“ ist ein aufregend politischer und witziger Roman.

Thomas Meinecke, Musik. Roman
Frankfurt/M: Suhrkamp 2004, 370 Seiten, EUR 19,80, ISBN 978-3-518-41638-9

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp-Verlag: Thomas Meinecke, Musik
Wikipedia: Thomas Meinecke

 

Helmuth Schönauer, 02-01-2007

Bibliographie

AutorIn

Thomas Meinecke

Buchtitel

Musik

Erscheinungsort

Frankfurt a. Main

Erscheinungsjahr

2004

Verlag

Suhrkamp

Seitenzahl

370

Preis in EUR

EUR 19,80

ISBN

978-3-518-41638-9

Kurzbiographie AutorIn

Thomas Meinecke, geb. 1955 in Hamburg, lebt seit 1994 in einem oberbayerischen Dorf.