Erzählung

Andrzej Stasiuk, Der Stich im Herzen

h.schoenauer - 30.11.2015

Manche Gegenden sind so zerfleddert und zerlegt, dass sie nur mit einer Naht quer durch das Herz zu einem Bild zusammengeflickt werden können.

Andrzej Stasiuk schreibt vornehmlich über Grenzen, entkoppelte Gebiete, aus der Gravitation gefallene Gesellschaften. Der aktuellen Sammlung von knapp fünfzig Fernweh-Geschichten sind sechs Richtschnüre vorgespannt, wie man sich diesen Emotionen nähern könnte.

Jürgen Genthner, Therapienovelle

h.schoenauer - 23.11.2015

Eine Altherrenrunde, die sich regelmäßig dem Canasta hingibt, ist wahrscheinlich das Stabilste und Staatstragendste, was einem Staat wie Österreich passieren kann.

In Jürgen Genthners „Therapienovelle“ versammeln sich regelmäßig vier Typen Marke Hofrat um den Canasta-Tisch, alle haben es in jene Sphären der Macht geschafft, wo einem nichts mehr passieren kann und wo dann auch nichts mehr passiert.

Günther Oberhollenzer, Von der Liebe zur Kunst

h.schoenauer - 06.09.2015

In einer Gesellschaft, in der an manchen Tagen ausschließlich Börsen-orientierte Kalkulationen als Gedankengänge zulässig sind, haben es Diskurse über alles, wo keine Zahlen vorkommen, ziemlich schwer.

Günther Oberhollenzer legt sich die Latte gleich doppelt hoch, verwendet er doch Begriffe wie Liebe und Kunst, die mit Zahlenmaterial natürlich nicht zu bewältigen sind. Seine drei Grunderfahrungen zum Thema stammen aus einem aufwühlenden Studium der Kunstgeschichte in Innsbruck, aus seinen kuratierenden Tätigkeiten unter anderem in Südtirol und seiner „Hausaufgabe“ am Essl Museum.

Klaus Merz, Brandmale des Glücks

h.schoenauer - 30.08.2015

In der Innsbrucker Buchhandlung Haymon sind es zwei jähe Erscheinungen, die das Herz des Besuchers jeweils kurz anhalten, ehe es gut getaktet weiterschlagen darf.

Zum einen ist es die Architektur einer Blackbox, die den Kunden gleich in einen anderen Zustand beamt, und zum zweiten ist es das großflächige Angebot an Werk- und Gesamtausgaben. Luftig aufgestellt liegen diese bunten Quader in den oberen Regalen und verheißen nichts anderes als vollkommene und vollständige Literatur.

Judith Nika Pfeifer, zwischen

h.schoenauer - 16.08.2015

Dieser seltsame Zustand „zwischen“, quasi nicht Fisch und nicht Fleisch, oder „eingeklemmt“ wie es der Lyriker N.C. Kaser einmal genant hat, gilt am Kontinent als österreichische Kernmentalität: Nicht anstreifen, nicht dabei sein, nicht Farbe bekennen.

Judith Nika Pfeifer stellt zwölf Prosa-Sequenzen vor, die jeweils von einem Zwischenzustand, Zwischengefühl oder Zwischenreich handeln. Gleich zu Beginn wird ein „Zwischenfall“ eingefroren und zurück zum Ausgangspunkt geschickt.

Christine Trüb, Sonntagmorgen

h.schoenauer - 28.07.2015

Tatsächlich sind manche Wochentage und Tageszeiten wie geschaffen dafür, helle Gedanken auszufassen, ein Sonntagmorgen verströmt geradezu verdoppelt das leise Sinnieren durch den eigenen Erinnerungsraum.

Christine Trüb stellt in ihrer Erzählung Sonntagmorgen eine Sie in die Küche und lässt sie sofort im Stil des roman nouveau darin untergehen. Dutzende kleine Partikel fesseln die Protagonistin, die Wand, die darin installierten Bilder, eine Lehrtafel aus einem Schulkabinett und schließlich diverse Dosen, Lebensmittel und Verzierungen, die alle den Befehl des Systems hinausschreien:

Georg Paulmichl, Bis die Ohren und Augen aufgehen

h.schoenauer - 19.07.2015

Ein Fernsehabend erlöst den anderen. - Wenn Sprichwort-artige klare Analysen im Spiel sind, ist Georg Paulmichl nicht weit. Er schafft es mit seinen beinahe täglichen Schreibüberlegungen, dem jeweiligen Tag und sich selbst den letzten Schliff zu geben.

Seit mehr als drei Jahrzehnten schreibt Georg Paulmichl mehr oder weniger freiwillig unter Anleitung seiner Betreuer seinen Tagesstoff, der zwischen Therapie, Heimatkunde und Jahreskreis angesiedelt ist. Die Miniaturen halten sich oft an ein ausgegebenes Thema und entlarven diverse Kommunikations-Rituale, indem die Sachverhalte oft allzu wörtlich, seltsam verschränkt oder mit Querverweisen aus völlig fernen Gebieten abgesichert werden.

Tor Ulven, Das allgemein Unmenschliche

h.schoenauer - 05.07.2015

Die Bilder, die wir Leser uns von einem Land machen, gehen oft auf ein einziges Buch oder die Schreibweise einer einzigen Autorin zurück. Dabei entpuppt sich diese reduzierte Sichtweise als wahr und gerecht zugleich.

Im Falle von Norwegen denkt man unwillkürlich an Tor Ulven, der mit seinen ins Unterbewusstsein einschießenden Prosazellen etwas evoziert, was wir mit Norwegen, Blockhütte, Psyche und Ibsen in Verbindung bringen.

E. W. Bichler, Der Kluibenschädel. Das Ende

h.schoenauer - 02.07.2015

Wie sich die sogenannte Freiheit in einer straff geführten Gesellschaft anfühlt, kann am besten jemand erklären, der gerade frisch aus dem Gefängnis entlassen worden ist.

E. W. Bichler schickt seinen Helden Kluibenschädel, der in mehreren existentiellen Abenteuern das Leben gemeistert hat, in eine durchaus an den Nerven zehrende Endzeit und schließlich in den Tod.

Stefan Abermann, Schatzkästlein des reinlichen Hausfreundes

h.schoenauer - 30.06.2015

Zu Zeiten, wo sich größere Bevölkerungsschichten aufmachen, so etwas wie Bildung und Lebenssinn zu inhalieren, boomen gerne die Hauskalender und Schatzkästlein, worin für alle Stimmungs- und Lebenslagen gute Tipps nachzulesen sind.

Stefan Abermann greift diesen Bildungshunger nach Snack-Portionen und Apps auf und destilliert aus diversen Abenden des Poetry-Slams lebensnotwendige Texte für den Hausgebrauch heraus. Kurze Auftritte, die vor allem auf der euphorischen Tagesverfassung des Vortragenden aufbauen, werden im Schatzkästlein zu pragmatischen Anleitungen, mustergültigen Fallgeschichten oder Breitband-Medikamenten gegen allerlei Fährnisse des Alltags herunter gebrochen.