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caroline schutti, patagonienManche Gegenden dienen nicht nur Reiseführern zum Austoben, sie ziehen oft eine eigene Literaturform nach sich. So sprechen wir von Gebirgsliteratur, wenn erhabenes Gestein als Grundlage für tiefgehende Psychosen dienen soll, von Sibirienliteratur, wenn es um Verbannung, Kriegsgefangenschaft oder Schamanen geht, und von Patagonienliteratur, wenn das Ende der Welt eine Rolle spielen soll.

Carolina Schutti baut ihre Texte von vornherein kunstvoll zu einem Sprachereignis auf, und erst in zweiter Linie liefert dieses Textkunstwerk etwas, was einer imaginierten Wirklichkeit entsprechen könnte. Patagonien ist somit kein Reiseführer und keine Erzählung, die in Patagonien spielt, sondern ein Schachbrett am Ende der Welt, auf dem in äußerst reduzierter Form Alltagsgegenstände und Alltagspersonen auftreten.

christoph türcke_lehrerdämmerung.jpg„Gelernt wird heute eigenständig, beweglich, kreativ, weder Lehrern zuliebe noch nach Schablonen oder im Gleichschritt. So etwa klingt das Lied der «neuen Lernkultur». Ein vielstimmig gemischter Chor von Bildungsexperten singt es seit einigen Jahren mit wachsender Lautstärke.“ (S. 7)

Christoph Türcke setzt sich kritisch mit der gegenwärtigen Lernkultur an Schulen auseinander, in denen Lehrer zunehmend als Lernbegleiter verstanden werden und Lerninhalte an Kompetenzen und den neuesten Erkenntnissen der Hirnforschung und Entwicklungspsychologie ausgerichtet werden. Dabei geht die ursprüngliche Aufgabe von Lehrerinnen und Lehrern verloren: „Kindern Sachverhalte so zu vertiefen, dass sie ihnen zu eigen, vertraut, lieb und wert werden.“ (S. 18)

bernhard strobel, im vorgarten der palmeDie großen Dinge wie Liebe, Glück und Zufriedenheit sind oft nur deshalb so schwer zu erreichen, weil es keine gesicherten Erfahrungsparameter dafür gibt.

Bernhard Strobel baut in einer Siedlung einen üppigen Glückskosmos auf, der so reichhaltig bestückt ist, dass einem das Glück als gebratene Taube in den Mund fliegt. Aus Gründen des umgreifenden Tierschutzes ist diese Taube freilich als Palme ausgestaltet und steht in einem Vorgarten.

wolfgang hermann, walter oder die ganze weltDie Welt schrumpft in kleinen Städten an der Peripherie zu einer Trommel, auf der sich trefflich ein Polizist aufstellen lässt, der den Weltverkehr regelt.

Wolfgang Hermanns subtile Heimatbeschreibung geht der Frage nach, welches Okular man einer Erzählung vorspannen muss, damit die Welt in einer harmonisch-humanen Verhältnismäßigkeit erscheint. „Walter oder die ganze Welt“ handelt von einem Polizisten in einer Vorarlberger Kleinstadt in den 1960er Jahren.

marlen haushofer, der gute bruder ulrichWer einmal ein Jahrhundertbuch geschrieben hat, kann auch seine übrigen Texte nicht mehr im Schatten halten. Zwar fallen diese Texte dem Gesetz der Erinnerungsschwerkraft gehorchend ins bodenlose Vergessen, sie werden aber von Nachlasspflegern und angehenden Archivaren immer wieder hervorgeholt, gedreht und gewendet und frisch für den literarischen Verzehr paniert.

Marlen Haushofer, die Bestsellerautorin der „Wand“ (1963), hat quasi als Fingerübung drei kleine Märchen geschrieben, die sie vermutlich bei den schon damals unumgänglichen Schul-Lesungen herauskramen konnte. Freilich sind die Märchen erst drei Jahre nach dem Tod der Autorin für einen Gastauftritt in der pädagogischen Leuchtschrift „Die goldene Leiter“ erschienen. In dieser Heftserie sollte zum Unterschied von den berüchtigten Schundheften wertvolle Literatur erscheinen.

helmuth schönauer, nie wieder tirol„Tirol ist ein mehr oder weniger gelungener Bluff, der die Leute über den Tisch zieht, sobald jemand das Land betreten hat. Es gibt in Tirol nichts, was Sie nicht zu Hause in besserer Qualität haben könnten.“ (S. 5)

Die beiden jungen bayerische Startup Unternehmer Cum und Kim wollen in Tirol eine App entwickeln, mit deren Hilfe man sich in Tirol umschauen kann, ohne nach Tirol fahren zu müssen. Auf ihrer Fahrt nach Tirol werden sie nach zahlreichen gescheiterten Versuchen erkennen, dass es unmöglich ist, in das total „verstaute“ Land einzureisen.

anna felnhofer, problematische mediennutzung„Das vorliegende Therapie-Tools-Buch konzentriert sich auf Methoden und Techniken, welche sich für die Vermittlung von Medienkompetenzen und andere Interventionen in Verbindung mit digitalen Medien eignen. […] Die entwickelten Materialien sollen für Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern gleichsam attraktiv gestaltet und aufgebaut sein.“ (S. 11)

Das Sachbuch „Problematische Mediennutzung im Kindes- und Jugendalter“ setzt sich mit den Technologien und Inhalten auseinander, die potenzielle Gefahren für Kinder und Jugendliche darstellen.

reinhard wegerth, himmelstiegeDie Himmelsstiege kann durchaus auch als Paradoxon gelesen werden: Während jemand philosophisch den Weg der Befreiung erklimmt, macht er die Hölle der Schwerkraft und anderer körperlicher Handicaps mit.

Reinhard Wegerths literarische Quelle ist das eigene Leben, das ständig zwischen hell und dunkel oszilliert. Erzähltechnisch geht er einen raffinierten Weg, indem er die hellen Stellen im Buch „Damals und dort“ zusammenfasst, die dunklen Streifen aber mit dem hellen Titel „Himmelsstiege“ erzählt.

daniela dröscher, zeige deine klasseIn der Soziologie gibt es auch einen spielerischen Zugang zu den Fakten, aber die Ergebnisse sind dann immer ernüchternd realistisch und beileibe kein Spiel. In der Abwandlung eines unschuldigen Kinderspiels lässt sich durchaus intensiv das eigene Leben durchspielen mit der Anleitung: Zeige deine Klasse!

Daniela Dröscher analysiert in ihrem Sozio-Essay das Aufsteiger-Leben in Deutschland in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts. Sie nennt ihr Untersuchungsfeld bewusst Klasse, weil diese undurchdringlich und unveränderbar ist, während die etwas lieblicheren Begriffe Milieu und Ambiente suggerieren, dass man etwas verändern könnte, wenn man nur wollte. Das brutale Gegenstück zur Klasse wäre dann die Kaste, in der die Unveränderbarkeit über Generationen festgeschrieben ist.

matthias schönweger, der augenblickManche Bücher nehmen die Aufgabe, einen haptischen Zusatzgenuss zu vermitteln, so ernst, dass sie beinahe in eine Skulptur ausarten. Solche Bücher kommen dann nicht mit der Post, sondern mit dem Sack-Roller auf den Schreibtisch. Man ist im ersten Durchgang vor allem mit dem Blättern und räumlichen Zuordnen des Textes im Raum beschäftigt, man fühlt sich eher unter einem Triumphbogen stehend, als vor einem Buch sitzend.

Matthias Schönweger wählt die Gedichtform immer dann, wenn er das Gedicht sprengen will. Bei ihm haben die Wörter mehrfache Bedeutungen, ein Gedicht sprengen heißt also wirklich, es in die Luft zu jagen. Zu diesem Zweck werden die Wortteile in Großbuchstaben gesetzt und fliegen durch das unter Druck gesetzte Papier und hinterlassen Schmauchspuren, Einschläge, Wortkerben, die noch lange anhalten, wenn das Gedicht selbst schon verschmaucht ist.