Klicken Sie hier für die Erweiterte Suche ...

rudolf habringer, diese paar minutenWährend man bei einem Roman davon ausgeht, dass er zum Augenblick seiner Vollendung mit Ort und Zeit als Quelldaten fixiert wird, zeigen sich Erzählbände oft als Bunter Text-Kessel, der an mannigfaltigen Orten aufgekocht und über Jahrzehnte eingedickt worden ist.

Rudolf Habringer nennt seine Titel gebende Erzählung „diese paar Minuten“. Dabei geht es um einen jähen Zeitanschnitt, von dem erst hinterher klar ist, dass er einen wesentlichen Einschnitt in das Leben verursacht hat. Das Thema ist schier unendlich: Wie verlaufen Schicksalslinien in der Fläche der Gesellschaft? Wer trifft wann auf wen und verursacht dabei ein Unglück? Wie lange muss pure Zeit unter Druck stehen, ehe sie sich entlädt und Helden zum Implodieren bringt?

felix philipp ingold, die zeitinselpätestens seit Daniel Defoe gilt ein entlegenes Eiland als ideale Erzählfläche, um darauf Lebens- und Weltentwürfe spielen zu lassen. Wenn diese Insel dann noch einer definitiven Zeit entrückt wird, indem quasi jede Zeit auf der Insel Platz hat, dann erweist sich die „Zeitinsel“ als höchst verdichtetes Material, das astrophysikalisch vielleicht an ein schwarzes Loch herankommt.

Felix Philipp Ingold konstruiert seine Zeitinsel als Kunstfläche, auf der sich Projekte, Biographien, Spintisierereien und Träume installieren lassen. Im Untertitel nennt er dieses Unterfangen „Stationenbericht“, es könnte also mit einer kultur-sportlichen Veranstaltung verglichen werden, auf der man sich während des Rundlaufs allerhand Stempel ins Lektüreheft stempeln lässt als Beleg, dass man die Stationen aufgesucht hat.

dietmar füssel, der verklärteIn Denksphären mit mannigfaltigen Spielregeln sind die verwendeten Begriffe oft labil wie Quanten, sie können zu Beginn eines Satzes etwas anderes bedeuten als an dessen Ende. Vor allem Theologie und Literatur werden diesem Metier zugerechnet, dessen Protagonisten oft als Schwurbler auftreten. Die Sprache hält für diese Geschichten exquisite Begriffe parat, die wie Leitpflöcke den Diskurs durch den Nebel führen. – „Der Verklärte“ ist so ein Begriff.

Dietmar Füssel, längst ein „Marken-Autor“ für groteske Geschichten, lässt den erfolglosen Schriftsteller Didi F. als Prototyp für eine Heilsgeschichte sterben. Er wird in provinzieller Manier von einem Lokalpolitiker überfahren, der Fahrerflucht begeht. Erbärmlicher kann man als Dichter wirklich nicht sterben.

gunter falk, vom verschwinden des autorsIn einem funktionalen Lehrbild werden literarische Aufsätze manchmal als Bodenmarkierungen gelesen, die den Verkehrsstrom der Literatur regeln und entflechten sollen. Wie bei echten Bodenmarkierungen verlieren die literarischen oft ihren Sinn, wenn die entsprechende Gegenwart vorbei ist. Aufsätze aus verflossenen Zeiten gleichen dann grobkörnigen Linien auf Asphaltfragmenten, die schon längst von Pionierpflanzen umkreist sind.

Ein solches nostalgisches Bild sollte man sich vielleicht vor Augen halten, wenn man die Essays, Studien, Kommentare und Kritiken im Sammelband „Vom Verschwinden des Autors“ liest. Der Herausgeber Günter Eichberger hat bislang verstreute Aufsätze pfleglich zusammengefasst und mit einem einfühlsamen Nachwort hinterlegt.

gerda hofreiter, verstossen„Wer sind die „Helden“ der Geschichten? Weil im Gau Tirol-Vorarlberg relativ wenige Juden lebten, ist es möglich, einen kompletten Personenkreis zu erfassen und damit statistische Aussagen zu treffen. So kann man auch von einer leicht lesbaren Prosopografie sprechen. Es wurde ein Sample ausgewählt, das sich durch Ort und Zeit definiert und das nun 101 Personen umfasst …“ (S. 11)

Gerda Hofreiter erzählt in ihrem zeithistorischen Sachbuch von der Geschichte und dem Schicksal von 101 jüdischen Tiroler und Vorarlberger Kindern und Jugendlichen während der Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus in Österreich, die sie in einen breiteren historischen Kontext einbettet.

peter simon altmann, die nächte von bangkokDas sogenannte erotische Paradoxon zeigt sich in der Literatur, wenn der Schauplatz immer heißer und die Helden immer cooler werden.

Peter Simon Altmann wendet sich in seinen sieben Erzählungen diesem Paradoxon zu, in ausgeklügelten Erzählverfahren werden hitzige Schauplätze aufgesucht, um darin die Helden als kühl agierende Denker zu installieren. „Die Nächte von Bangkok“ erfüllen das spontane Versprechen, Geheimnisse der Eros-Stadt bei Nacht zu lüften. Zusätzlich entsteht für die Leser eine vollends philosophische Befriedigung, die wenig mit hormonellen Zuständen zu tun hat.

paul divjak, ich liebe österreichWährend in den meisten Ländern es für den Patriotismus genügt, wenn man die jeweilige Nationalhymne beherrscht, muss man in Österreich mangels Selbstbewusstsein des Landes noch ein paar pfundige Sätze aufsagen, die von den Vorrednern ausgesprochen massenhaft herumliegen. Zudem ist das Land ein Paradies für verschmitzt-denkende Schriftstellerinnen, von denen wegen der vielen Leseauftritte jede einen guten Sager auf Lager hat.

Paul Divjak stellt mit seiner patriotischen Sätze-Fabrik die neuesten Sprüche über Österreich zur Diskussion. Sein Projekt ist ein Meilenstein des verbalen Patriotismus, werden doch die Sager mit künstlicher Intelligenz hergestellt.

anton prock, die tiroler habsburger„Wer heute durch Innsbruck schlendert, stößt auf zahlreiche Erinnerungen an die einstigen Landesfürsten. Der Neuhof, verschiedene Klöster, der Vorgängerbau der heutigen Hofburg, Schloss Ambras, die Jesuitenkirche, die Mariahilfkirche, der Leopoldsbrunnen, das Grabmal Erzherzog Maximilians III. des Deutschmeisters im Dom sowie seine Eremitage im Kapuzinerkloster und vieles mehr zeugen von ihrer Herrschaft. (S. 8)

Über knapp 260 Jahre bestimmten die Tiroler Habsburger über Tirol und die Vorlande, dem habsburgischen Streubesitz westlich des Arlbergs. Damit erlebte die Grafschaft Tirol zahlreiche Veränderungen, wie z.B. die Verlegung des Regierungssitzes von Meran nach Innsbruck, das als Zentrum der Politik und als Schnittstelle in alle Himmelsrichtungen in dieser Zeit stark an Bedeutung gewinnen konnte.

goran vojnovic, 18 kilometer bis ljubljanaWie viel Platz braucht eine Kultur, um Fuß zu fassen? Gibt es so etwas wie kreativ-tektonische Bodenplatten, die Kultur erzeugen, wenn sie aneinander reiben? Kann das Individuum seine Kultur selber wählen oder fällt diese einfach über einen her, wenn man bestimmten Boden betritt?

Goran Vojnović schreibt abermals einen soziokulturellen Roman aus der Vorstadt von Laibach. Der Held Marko aus dem Jahr 2008 (Tschefuren raus!) ist längere Zeit in Bosnien gewesen und kommt im neuen Roman „18 Kilometer bis Ljubljana“ (2023) zurück in das Stadtviertel Fužine, um zu sehen, dass nichts mehr ist wie früher.

elias schneitter, zirler bluesBlues ist eine Lebensstimmung, die sich über eine ganze Jahreszeit, einen Landstrich oder einen kompletten Ort legen kann. Elias Schneitter hat als Erforscher und Herausgeber von Beat-Literatur den Blues quasi am Wegrand geerbt, denn die Grenzen zwischen den beiden Künsten der Peripherie (Beat und Blues) sind fließend.

Obwohl es sich beim Tiroler Ort Zirl um einen berüchtigten Sonnenort mit historischen Weinbergen handelt, sind seine Bewohner durchaus anfällig für eine blaue Stimmung der Melancholie. In diesen Phasen ziehen sich die Menschen auf das Innerste zurück und suchen nach altbewährten Ausdrucksformen, die auf archaischen Gesellschaften fußen. Das können alpine Urlaut-Kompositionen sein, markante Riffs von Beatniks, oder eben Haikus, die den Transport aus dem Japanischen halbwegs überlebt haben.