Belletristik und Sachbücher

Gundi Feyrer, Sätze, die Gedanken regnen

h.schoenauer - 10.12.2024

gundi feyrer, sätze die gedanken regnenSoll man sich über ein Buch darüber trauen, wenn es sich laut Gebrauchsanleitung dabei um Elemente aus der Quantenphysik und der Kabbalah handelt?

Gundi Feyrer sagt ja, denn mit Analogien zu diesen beiden luftigen Gedankendepots lässt sich die Welt wundersam neu erzählen und verstehen. Mit der bestechenden Zauberformel von „Sätzen, die Gedanken regnen“ wird jäh eine und intellektuell-emotionale Großwetterlage geschaffen.

Die beiden Quellen für das Ausregnen-Lassen von Sätzen sind die Quantenphysik, die vom Quanten-Guru Anton Zeilinger einmal als Intuition bezeichnet wird; sowie die Kabbalah, die „als Sprach-Mystik und Sprach-Philosophie vom Wort-Material ausgeht und Buchstabenkombinationen als Verkleidung sieht“. (73)

Martin Kolozs, Kreuzwege

h.schoenauer - 09.12.2024

martin kolozs, kreuzwegeAlle Menschen unterliegen biographischen Kreuzwegen, wenn sich eigene Lebenslinien mit solchen anderer Zeitgenossen kreuzen. Im religiösen Ambiente versteht man unter Kreuzweg eine leidende Auslegung des Schicksals, im strengen katholischen Ritual hat sich daraus das Genre des Kreuzwegs herausgebildet, dabei werden in vierzehn Episoden die Leidensstationen Christi auf seinem Weg hin zur Kreuzigung nachempfunden und nachgebetet.

Martin Kolozs greift in seiner Auftragsbiographie „Kreuzwege“ zur Dramaturgie dieses Genres, indem er das Schicksal der Tiroler Jesuiten Johann Schwingshackl und Johann Steinmayr miteinander verschränkt und sie anschließend durch die politische Zeit des Nationalsozialismus begleitet, dem sie schließlich zum Opfer fallen: Beide werden hingerichtet.

Mario Hladicz, Tag mit Motte

h.schoenauer - 06.12.2024

mario hladicz, tag mit motteGedichte sind unter anderem dazu da, die Zeit anzuhalten und die darin aufgestapelten Vorgänge einzumotten. Gedichte sind die idealen Mottenkugeln, heißt es in einer gängigen Anleitung für Alltagslyrik.

Mario Hladicz greift diese Theorie auf, und überschreibt seine Gedichte mit „Tag mit Motte“. Darin ist subsumiert, dass in den Gedichten der Ablauf der Zeit angehalten und für die Konservierung tauglich gemacht wird. Dass dann die Gedichte wie Motten unerwartet aus dem Depot fliegen, ist beabsichtigter Kollateralschaden.

„Tag mit Motte // Es ist nämlich so erst passiert wenig bis / nichts so bis um sieben halb acht dann / flattert sie an mir vorbei und malt mit / jedem Flügelschlag das Fenster aus mit / Licht das macht das Aufstehen erträglich“ (50)

Leopold Federmair, Hiroshima Capriccios

h.schoenauer - 04.12.2024

leopold federmair, hiroshima capricciosCapriccio bezeichnet den absichtlichen, lustvollen Regelverstoß der akademischen Normen, ohne die Norm außer Kraft zu setzen.

Leopold Federmair benützt für seine Notizen und Mikro-Essays demütig das Genre „Capriccio“, womit er die japanische Kultur aus der Sicht eines Österreichers als Abweichung beschreiben kann, ohne dadurch in der einen oder anderen Kultur herablassend zu wirken. Bei Aufzeichnungen zwischen den Kulturen besteht nämlich die eine Gefahr darin, dass man sich anbiedert, die andere, dass man sich über sie hinwegsetzt. Aus diesem Grund sind die Hiroshima-Texte vorne als Rahmen erklärt und hinten als Glossar.

Karl-Joachim Hölkeskamp, Theater der Macht

andreas.markt-huter - 02.12.2024

karl-joachim hölkeskamp, theater der macht„Die ganze Welt ist eine Bühne – das ist nicht nur eine vielzitierte, ebenso universell wie beliebig verwendbare Sentenz aus William Shakespeares Wie es euch gefällt, sondern muss heute auf ganz neue Weise durchaus ernst genommen werden. Längst geht es um mehr und anderes als einen wohlfeilen programmatischen Anspruch irgendwelcher Propheten des sogenannten ‹performative turn› in den Kulturwissenschaften.“ (S. 15)

Karl-Joachim Hölkeskamp bietet in seiner umfangreichen Monographie einen tiefen Einblick in die politischen und sozialen Strukturen der Römischen Republik. Dabei stehen die symbolischen und rituellen Gesichtspunkte der politischen Kultur in Rom ganz speziell im Mittelpunkt. Gezeigt wird, wie durch öffentliche Inszenierungen und Rituale die Machtverhältnisse gefestigt und aufrechterhalten worden sind.

Robert Rebitsch, Rebellion 1525

andreas.markt-huter - 29.11.2024

robert rebitsch, rebellion 1525„Am 10. Mai 1525, vor 500 Jahren, läuteten in der Umgebung von Brixen die Kirchenglocken Sturm. Das war das Zeichen für den Aufstand gegen die Obrigkeit, gegen Fürstbischof Sebastian Sprenz. Auf der Millander Au versammelten sich an die 5000 Bauern der umliegenden Gerichte. Zuerst plünderten sie in der Stadt Brixen und dann im Kloster Neustift.“ (S. 7)

Die geplante Hinrichtung des „berühmt-berüchtigten Absagers“ Peter Pässler bildete den Startschuss zu den Tiroler Bauernkriegen in den Jahren 1525/26, die bald auf die Grafschaft Tirol und Fürstbistum Trient übergriffen. Mit Michael Gaismair, dem Kanzlisten des Fürstbischofs von Brixen und Kleinunternehmer im Bergbau, tritt auch die wohl bekannteste Figur des Tiroler Bauernaufstandes die historische Bühne.

Alfred Paul Schmidt, Fernweh

h.schoenauer - 27.11.2024

alfred paul schmidt, fernwehFernweh irritiert in der Literatur die Helden doppelt. Zum einen können sie keinen klaren Gedanken mehr fassen, weil sie mit ihrer Sehnsucht schon weit weg sind, zum anderen wird die Realität bedrückend, weil sie als unmittelbare Umgebung das Gegenteil von Fernweh ist.

Alfred Paul Schmidt installiert rund um den magischen Titel „Fernweh“ seinen Flanierroman, worin die Helden während einer Pandemie aus den diversen Verhaltensvorschriften ausbrechen und sich eine eigene Welt schaffen.

„Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen ist das Sinnieren über einen Gegenstand, während im Fernsehen irgendwas läuft.“ (57) Und an anderer Stelle kommt die Erkenntnis zum Vorschein: „Dieses Pendeln zwischen einer gedachten und einer wirklichen Wirklichkeit ist offenbar ein zentrales Vergnügen unseres Bewusstseins.“ (132)

Hanne Römer, DATUM PEAK – Eine Expedition

h.schoenauer - 25.11.2024

hanne römer, datum peakVon Forschenden kennen wir meist nur ihre Ergebnisse, Reisen und Laborberichte. Nur selten gelingt es uns Lesenden, in ihre Köpfe zu schauen um zu erfahren, wie sie ticken. Und stimmt es wirklich, dass sie für sich alle eine Geheimsprache verwenden?

Hanne Römer startet mit „Datum Peak“ ein Projekt, in dem diverse Zeichensysteme und Sprechweisen daraufhin untersucht werden, ob wissenschaftliches Denken einen Einfluss auf die Psyche ihrer Helden hat. Dieses Modell ist in einem Nachsatz am Ende des Textes angefügt und kann als Regieanweisung gelesen werden.

Jonathan Haidt, Generation Angst

andreas.markt-huter - 22.11.2024

jonathan haidt, generation angst„Generation Angst ist ein Buch, in dem es darum geht, wie wir das menschliche Leben für Menschen aller Generationen zurückerobern können.“

Das Buch „Generation Angst“ von Jonathan Haidt beleuchtet die Verschlechterung der psychischen Gesundheit von Jugendlichen. Haidt, Sozial- und Moralpsychologe, sucht nach den Ursachen und sieht die Gründe vor allem in einer überbehüteten Kindheit und dem zunehmenden Einfluss von Smartphones, Social Media und der Selfie-Kultur. Diese technologischen Entwicklungen hätten das Leben junger Menschen massiv verändert und zu einem Anstieg von Angststörungen, Depressionen und Selbstverletzungen geführt. Haidt untermauert seine Thesen mit internationalen Studien, Statistiken und Grafiken, die den globalen Charakter des Problems aufzeigen.

Barbara Köhler, Schriftstellen

h.schoenauer - 20.11.2024

barbara köhler, schriftstellen„Ihre Bücher sind Skulpturen und Depots zugleich.“ (238) SCHRIFTSTELLEN ist ein komprimierter Nachruf, bestehend aus verdichtetem Werküberblick, Biographie sowie Beschreibung der wichtigsten Thesen.

Barbara Köhler erfährt eine bemerkenswerte „Künstlerin-Erweckung“, als sie in der DDR mit den Phänomenen Zensur und Parteiprogramm konfrontiert wird, noch ehe sie eine Zeile geschrieben hat. Das Ausüben der Kunst ist vom ersten Augenblick an mit ihrem Verbergen verknüpft, nur so lässt sich an ungesicherten Stellen des Systems Literatur unterbringen und mit Sprengkraft versehen, wie bei jenem Eis, das bei Kälte die Felsen sprengt, in den es bei Wärme eingedrungen ist.