Hanne Römer, DATUM PEAK – Eine Expedition

h.schoenauer - 25.11.2024

hanne römer, datum peakVon Forschenden kennen wir meist nur ihre Ergebnisse, Reisen und Laborberichte. Nur selten gelingt es uns Lesenden, in ihre Köpfe zu schauen um zu erfahren, wie sie ticken. Und stimmt es wirklich, dass sie für sich alle eine Geheimsprache verwenden?

Hanne Römer startet mit „Datum Peak“ ein Projekt, in dem diverse Zeichensysteme und Sprechweisen daraufhin untersucht werden, ob wissenschaftliches Denken einen Einfluss auf die Psyche ihrer Helden hat. Dieses Modell ist in einem Nachsatz am Ende des Textes angefügt und kann als Regieanweisung gelesen werden.

Personen, Landschaften, Sachverhalte und Lebewesen sind frei erfunden. Ihre Geschichte verbleibt in der Montage. (128)

Die Begriffe Wasser (9), Luft (47), Hitze (75), Datum (99) sind als Kapitelüberschriften wie Beobachtungsluken installiert, durch die sich das Thema introspektieren lässt. Den Schlüsselbegriffen ist jeweils eine Zeichnung vorangestellt, die als entgleistes Diagramm, als verquere Vignette oder als Kontur für eine kompakte Skulptur gelesen werden kann. Vage erinnern diese Zeichnungen an aufgeschlagene Kissen, eingefahrene Fahrwerke eines Flugobjekts oder einen zerknüllten Globus, auf dem ein Segelschiff ins Out driftet.

Schon der erste Satz lässt aufhorchen: „Datum schiebt sein Fleisch zurück zwischen die Rippen eines früheren Leibes.“ (11) Datum scheint als personifiziertes Individuum zu agieren, die Figur kann auf Skalen verschoben werden, aber auch als punktuelles Ereignis aufscheinen. „Datum Peak“ wäre dann der Höhepunkt einer Biographie oder die Spitze eines chronologischen Verlaufs.

Als verlässliche Guides in einem Areal unerforschter Materie erweisen sich Forscher und Forscherin, die mal romantisch agieren wie beim Entdecken fremder Landschaften und ihrer Tiere, mal sich pedantisch über Messgeräte beugen, und ab und zu über sich selbst mehrdeutige Sätze fallen lassen als Kontrast zu wissenschaftlich gesicherten Aussagen.

Im ersten Kapitel ist Wasser ihr Forschungsobjekt. Wenn es steigt, kann es den gesamten Kontinent betreffen oder aber bloß den Vorraum einer privaten Wohnanlage. Im Hintergrund beäugt akribisch die Wirtschaft diese Wasserstände und „wünscht guten Appetit“ (24).

„Das Leben spricht ständig an.“ (15) heißt es beim Sortieren der täglichen Beobachtungen, etwa wenn die Qualität des Luftzugs an der Oberlichte zur Wohnung gemessen wird.

Manchmal wird die Veränderung durch ein simples „knack“ (19) hörbar, die meisten Aufzeichnungen freilich sind nicht von Relevanz und dokumentieren so etwas wie Menschenleere, die sich durchwachsen präsentiert. Folglich führen die Forschenden auch kleine Dialoge, worin sie die Vorgehensweise ihres Tuns und ihres Aufzeichnens hinterfragen. „Vielleicht kürze ich uns auch wieder weg.“ / „Jetzt sind wir einmal da.“ (19)

Das aufgestaute Material lässt allerhand Schlüsse zu, die sich schwer beweisen oder widerlegen lassen.

Die Natur wirkt angegriffen, stellenweise abgegriffen. (25)

Im nächsten Expeditionsraum steht Luft im Mittelpunkt. Diesem puren Wort „Luft“ (47) sind ein leeres Blatt sowie eine Zeichnung vorgelagert, und im anknüpfenden Luft-Text geht es um Hindernisse, die einem geregelten Luftzug im Wege stehen. Ein Rauchfangkehrer lässt sich beim Reinigen eines Schachts zum naturnahen Ausruf hinreißen: „Alles voller Laub - ein ganzer Wald da drin.“ (50) Und selbst sein Berufselement Ruß, für das er zuständig ist, lässt sich nicht genau definieren, denn Ruß ist quasi „ein Stoff im Stoff“.

Die Aufzeichnungen der Protagonisten lassen sich mit dem Reinigen eines Luftschachts vergleichen. „Was, wenn alles Gelöschte wieder hervorträte, Wege und Gänge flutete?“

Hinter ihrem akademisch angelegten Lüftungsloch wirkt dann auch die Landschaft erschöpft und müde. Und die darüber gespannte Saison dünstet aus. (59)

Das markanteste Geräusch im Zusammenhang mit Luft tritt in Gestalt von Luftpost auf, die Helden erhalten mit der Post zerbrechliches Liefergut und die Aufforderung zur Entrümpelung.

Im Kapitel „Hitze“ (75) sind Zettel über Zettel ausgelegt wie heiße Stäbe im Abklingbecken. Das markanteste Forschungsobjekt ist eine Eidechse, die es evolutionär bis in die Gegenwart geschafft hat, um über einen wärmenden Steinboden zu flitzen. Selbst der Forscherin wird heiß, aber es ist nicht die Hitze. (87) Das Besteck gegen Hitze wird Jalousie genannt, blickt man durch sie, tut sich eine abgemähte Wiese auf, die in der Hitze erst zur Geltung kommt.

Im letzten Feldversuch geht es um „Datum“ (99). Die Ereignislosigkeit ist prägend, lautet der generelle Befund. Für Aufregung sorgen freilich die Kommunikationsstränge, die Irrwege gehen, überlastet sind oder schlecht verschlüsselt, sodass es zu Totalausfällen kommt. Am Beispiel eines simplen Nachrichtentransfers zeigt sich das Versagen einer geordneten Übermittlung. Eine Sprechanlage ist kaputt, so dass das zuzustellende Schreiben nicht überprüft werden kann, worin dokumentiert ist, dass irgendwelche Werte erhöht sind. Befund: Ladehemmung der Sprache. (114)

Die Figur Bonsai Salami, die sich durch das Dokument schlängelt, könnte ein Hörfehler sein, ein semantischer Überschlag oder ein falsch übersetzter Name aus einem anderen Kulturbereich.

Im Hintergrund dieser Ereignisse lauert stets Datum. Mit ihm erreichen flüchtige Tatbestände Glaubwürdigkeit. Die Tropfen auf auf dem Wellblech (120) sind für sich genommen eine Leermeldung, mit einem Datum versehen freilich werden sie Teil einer allgemein gültigen Wetterlage.

Oft scheitern Protokolle an einer falschen Einschätzung des Kontexts. So bleibt das Datum gültig, auch wenn beforschte Tiere einmal im Revier und später im Stillleben ausgesetzt werden. Letztlich wird der Peak erreicht, heißt es lapidar. Das mag ein alpinistisches Abenteuer sein, ein Höhepunkt der Gefühle, oder die Spitze einer kulturellen Leistung.

Hanne Römer hinterlässt mit ihrer Expedition einen sprachlich aufgewühlten Raum, worin sich allerhand Installationen verwirklichen lassen. Immer unter Einhaltung der Spielregel: „Ihre Geschichte bleibt in der Montage.“

Hanne Römer, DATUM PEAK. Eine Expedition
Klagenfurt: Ritter Verlag 2024, 128 Seiten, 19,00 €, ISBN 978-3-85415-670-3

 

Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Hanne Römer, DATUM PEAK. Eine Expedition
Haus für Poesie: Hanne Römer

 

Helmuth Schönauer, 21-06-2024

Bibliographie
AutorIn:
Hanne Römer
Buchtitel:
DATUM PEAK. Eine Expedition
Erscheinungsort:
Klagenfurt
Erscheinungsjahr:
2024
Verlag:
Ritter Verlag
Seitenzahl:
128
Preis in EUR:
19,00
ISBN:
978-3-85415-670-3
Kurzbiographie AutorIn:
Hanne Römer, geboren 1967 in Hessen, lebt in Wien.