Belletristik und Sachbücher

Ilse Kilic, Das Schlaue vom Himmel

h.schoenauer - 30.09.2024

ilse kilic, das schlaue vom himmelVielleicht ist Literatur eine flüchtige Art von Materie, die sich manchmal um eine Lebensweisheit versammelt, die nach deren Verzehr wieder verschwindet.

Ilse Kilic ist mit ihrer blau-hörig machenden Fügung vom „Schalauen vom Himmel“ mit einer Versuchsunordnung unterwegs. Ihre Bücher sind eine Art Vorlesung für nicht planbare Überlegungen, die an einer Weiche aus einem Hauptstrang entspringen oder wie streunende Texte durch die Regale ziehen. „Weiche“ und „streunende Texte“ werden ermunternd im programmatischen Vorspann erklärt, der stracks in die Versuchsunordnung hineinführt.

Axel Karner, popanz

h.schoenauer - 27.09.2024

axel karner, popanzGedichtbände springen einen oft aus dem vollen Regal heraus an, wenn sie von der semantischen Schnellkraft eines einzigen Wortes getrieben jäh ihre Dynamik entfalten.

Axel Karner hält seinen Gedichtband unter dem Begriff „popanz“ vorerst in Zaum, ehe er dem Streusel-Spiel Mikado ähnlich seine Gedichte unvermittelt auswirft. Unter Popanz ist im sprachlichen Umgangsgebrauch ein aufgeblasener Typ gemeint, ein Schreckgespenst, die Kunst der Überschätzung oder die aufgeplusterte Meinung schlechthin. Der Popanz kann überall und jederzeit auftreten, im Alltag vor allem als Buhmann, Fake oder Drohkulisse.

Bernhard Hüttenegger, Wer seinen Sohn liebt

h.schoenauer - 24.09.2024

bernhard hüttenegger, wer seinen sohn liebtDas schriftstellerische Werk gilt Meistern erst dann als abgerundet, wenn darin jene Kindheit erzählt ist, die zum Schreiben geführt hat.

Bernhard Hüttenegger hat all seine Schreib-, Erinnerungs- und Bildkraft aufgeboten, um aus der Erfahrung einer geglückten Berufswahl zu erzählen, welche stummen Leiden und sprachlosen Gesten dafür notwendig gewesen sind. Der geschäftigen Welt entrückt sitzt im Schlussbild der Sohn an einem norwegischen Fjord, und lässt seine Gedanken an der Kante zwischen Witterung und Wasser oszillieren. In einer versöhnlich-pädagogischen Coda ist ein Sohn zum Sohn geworden.

Hans Martin Krämer, Geschichte Japans

andreas.markt-huter - 23.09.2024

hans martin krämer, geschichte japans„Das vorliegenden Buch ist […] keine antiquarische Historie, sondern geht genealogisch von der japanischen Gesellschaft und Kultur im globalen Kontext aus, wie sie sich uns heute präsentiert, und sucht deren Entstehung historisch zu erhellen. Dabei gebührt der vormodernen Geschichte eine ausführliche Behandlung, allein schon, weil sie Referenzpunkt zahlreicher Identitätsaussagen in der Gegenwart ist.“ (S. 8)

Hans Martin Krämer bietet in seinem Sachbuch einen kompakten Überblick über die Geschichte Japans von ihren Anfängen bis in die Gegenwart und zeigt dabei die wichtigsten Stationen der kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung des Landes. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die wechselseitigen Beziehungen im engeren wie globalen Umfeld gelegt.

Silke Müller, Wer schützt unsere Kinder?

andreas.markt-huter - 21.09.2024

silke müller, wer schützt unsere kinder„Es ist fünf nach zwölf. Wir können es uns nicht leisten, zu warten. Es ist entscheidend, dass wir uns sofort mit den Grundlagen und Auswirkungen der KI auseinandersetzen.“

Silke Müllers Buch „Wer schützt unsere Kinder? Wie künstliche Intelligenz Familien und Schule verändert und was jetzt zu tun ist“ ist wie auch ihr Erstlings-Werk „Wir verlieren unsere Kinder“ ein Bestseller. Die Autorin betont die Ambivalenz von Social Media bzw. Internet und zeigt eine Welt, die von Technik stark beeinflusst ist.

Der Titel verspricht Lösungen in einer durchaus fordernden Zeit. Dass es diese Lösungen braucht, veranschaulicht die Autorin durch Fallbeispiele aus dem Schulleben. Hier dürften es meiner Ansicht nach durchaus mehr davon sein. Die Lösungen, die Silke Müller vorschlägt, sind jedoch komplex und nicht so schnell umsetzbar. Sie reichen von einem neuen Arbeitszeitmodell für Lehrer:innen über den Abbau von Föderalismus bis zu landesweiten Kampagnen, die von der Politik initiiert werden sollten.

Kurt Drawert, Alles neigt sich zum Unverständlichen hin

h.schoenauer - 17.09.2024

kurt drawert, alles neigt sich zum unverständlichen hinDas Thema eines jeden Langgedichts ist der Atem, nur wer den sprichwörtlich langen Atem hat, kann es lesen oder schreiben.

Kurt Drawert setzt alles auf eine Karte und arrangiert „es“ zu einem Langgedicht. Der poetische Atem wird fürs erste nur unterbrochen durch die Bewegung des Umblätterns. Ein wenig später jedoch tut sich eine erste Struktur auf: In vierzehn Paragraphen wird die Materie zerteilt wie auf einem Verschiebebahnhof, um bald darauf wieder in neuer Zusammenstellung aus dem Gedächtnis-Knoten zu rollen.

Die Paragraphen sind mit Überschriften versehen, die eine vage Richtung angeben, wohin zu denken ist. „Die Würde des Menschen ist. / Das Ypsilon der Hysterie. / Anfang + Ende. / Die letzte Stunde. Vor den Spätnachrichten. / Psalmen. Gebete.“

Helwig Brunner, Flirren

h.schoenauer - 16.09.2024

helwig brunner, flirrenEin guter Zukunftsroman lässt sich mit der Hochrechnung für einen Wahlabend vergleichen, die Stimmen sind abgegeben und werden ausgezählt, die Spannung steigt, und das Ergebnis wird mit der Prognose halbwegs übereinstimmen.

Helwig Brunner arbeitet mit seinem beruflichen Standbein in einem ökologischen Planungsbüro, während er sich als Schriftsteller mit dem Spielbein für „klimarelevante Desaster“ interessiert. Mit dieser Beidbeinigkeit ist auch der Held des Romans „Flirren“ ausgestattet, der von sich sagt, er sei „doppelt gefordert als schreibender Wissenschaftler und forschender Literat“. (63) Der Erkenntnisgewinn aus wissenschaftlichen Versuchsreihen und assoziativen Fiktionen ist wohl auch das geheime Thema des Romans.

Erwin Uhrmann, Zeitalter ohne Bedürfnisse

h.schoenauer - 13.09.2024

erwin uhrmann, zeitalter ohne BedürfnisseWenn keine Bedürfnisse mehr da sind, hat man sie entweder selbst erfüllt, oder sie sind von sich aus abgehauen und haben die bisherigen Bedürfnisträger entleert zurückgelassen.

Erwin Uhrmann nimmt gleich vom Titel an die Leser in die Pflicht. Er stellt zwar ein Ambiente für Utopie und Dystopie zur Verfügung, die Text-User aber müssen je nach ihren Bedürfnissen sich den Roman selbst ausmalen. Das ist übrigens bei allen Romanen üblich, die nicht ein vorinstalliertes Klischee abhandeln.

„Zeitalter ohne Bedürfnisse“ lässt also ein paar Figuren auftreten, die wie beim „Mensch-ärgere-dich-nicht“ nach einer selbst-gewürfelten Zahl ein paar Schritte machen, ehe sie wieder vom Feld geworfen werden. Das Spielfeld selbst ist seltsam allgemein ins Auge gefasst als eine Landkarte ohne irgendwelche Ortsangaben. Ab und zu fallen geographische Begriffe wie Himmelsrichtungen, beispielsweise Wien, Polen oder Meer, es ist jedoch den Lesern überlassen, wie sehr sie diese Angaben mit eigenen Bildern unterlegen.

Georg Bydlinski, Blättervogel

h.schoenauer - 11.09.2024

georg bydlinski, blättervogelEin richtig zusammengesetztes Wort kann in der Lyrik so etwas wie eine poetische Kernschmelze auslosen. „Blättervogel“ ist eine geniale Wortkomposition, im direkten Bild verschwindet darin ein Vogel im Blattwerk, im übertragenen Sinn geht der Vogel, lyrisches Urbild für den Flug der Zeit, in den Blättern eines Gedichtbandes auf.

Georg Bydlinski spielt in seinen Gedichten mit den Scherwinden des Blicks, die oft auftreten, wenn man einem Bild zu nahe tritt. Mit der knappen Bezeichnung „Blick“ ist dieser magische Vorgang umschrieben, der letztlich zu einer neuen Sicht auf den Tag, wenn nicht gar zu einem Gedicht führt.

„Blick // … dass ich die Welt erkenne / mit neuen Augen // sie begreife / mit Sprache / wie mit meiner Hand“ (5)

Christian Futscher, Der Erbsenjongleur

h.schoenauer - 09.09.2024

christian futscher, der erbsenjongleurErbsenzählen und die Prinzessin auf der Erbse – der Erbsenjongleur ist als Märchenerzähler bestens eingekleidet mit Stoff.

Christian Futscher tritt mit seinen gut vierzig Kleinodien als Märchenerzähler, Text-Wirt, Flaneur und pingelig dahin werkelnder Schriftsteller auf. Seine Miniaturen widmen sich allen erdenklichen Genres und werden dementsprechend kurz angebunden abgehandelt.

„Die letzte Seite eines Tagebuchs // Heute bin ich leider gestorben. Jetzt geht gar nichts mehr.“ (53)