Belletristik und Sachbücher

Siljarosa Schletterer, entschämungen

h.schoenauer - 21.05.2025

Siljarosa Schletterer, entschämungenLyrik ist niemals eine Gebrauchsanweisung für etwas Bestimmtes, aber sie hilft, den Gebrauch der Wörter zu überdenken.

Siljarosa Schletterer überschreibt ihren Gedichtband mit „entschämungen“ und nennt diesen Vorgang eine Körperkantate. Damit sind die Gedichte in ihren Kernzonen aufgesucht, es geht um Körper, Resonanzkörper, Klangkörper und alle damit musikalisch zum Schwingen gebrachten Bedeutungen. Es geht aber auch um diverse Körperteile, die von Scham überklebt sind oder in einem völlig verunsicherten Bedeutungsfeld vor sich hinwirken.

Paolo Rumiz, Eine Stimme aus der Tiefe

h.schoenauer - 19.05.2025

Paolo Rumiz, Eine Stimme aus der TiefeItalien besteht aus mindestens zwei Ebenen. Einmal aus einer Erdoberfläche, die an manchen Tagen wegen des Overtourismus als solche nicht mehr zu erkennen ist. Und zweitens aus einem unterirdischen Kosmos aus Geräuschen, Magma, Vibration und Explosion.

Paolo Rumiz ist vielleicht einer der letzten Grenzreisenden unserer Zeit, das heißt, er reist nicht nur an eine Grenze der Wahrnehmung, sondern überschreitet sie auch.

Konstantin Kaiser, Ausgedehnte Gegenwart

h.schoenauer - 16.05.2025

Konstantin Kaiser, Ausgedehnte GegenwartManchmal kommt man als Künstler oder Wissenschaftler ganz woanders heraus, als man seine Karriere gestartet hat. Die wahren Lebensaufträge lassen sich nämlich nicht planen, sondern nur abarbeiten bis zum abgerundeten Ende.

Konstantin Kaiser ist während seiner Forschungen und Aufschreibungen auf Theodor Kramer (1897-1958) gestoßen und quasi zu seinem Wiedergänger geworden. Das wird rundherum als Kompliment gehandelt, denn über die Theodor Kramer Gesellschaft, deren Sekretär er lange war, ist Konstantin Kaiser wichtigster Interpret und Aufbereiter jener Literatur geworden, die man in Österreich gemeinhin als Literatur des Exils und Widerstands subsumiert.

Friedrich Hahn, Enden ohne Ende

h.schoenauer - 14.05.2025

Friedrich Hahn, Enden ohne EndeDie Komödie ist die adäquate Lebensform für das Alter. Wer bis in den Herbst des Lebens vorgedrungen ist, hat dies meist jener Kraft zu verdanken, die einen die Umtriebe des Alltags gelassen sehen lässt. Im Idealfall füttert der komödiantische Stoff die Selbstironie des Betrachters.

Friedrich Hahn fädelt das Leben seines Ich-Helden von hinten her auf. Sein Erzählstrang franst aus und es entstehen diverse Fasern, die in Enden ohne Ende münden.

Dietmar Füssel, Mord und Brand im Mondseeland

h.schoenauer - 12.05.2025

Dietmar Füssel, Mord und Brand im MondseelandEin Krimi braucht ein einmaliges Ereignis, das ihn nach der Lektüre unvergessen macht. Wenn auf einem ländlichen Polizeiposten der ermittelnde Beamte „autosexuell“ ist, wird man diese Eigenschaft nie vergessen, zumal sich jeder etwas anderes darunter vorstellt.

Dietmar Füssel ist bekannt für seinen grotesken Ansatz, die Welt zu betrachten. Seine Helden tauchen dort auf, wo man sie nicht erwartet, also meist in der konturlosen Arbeitswelt. So dient ihm das Genre Krimi vor allem dazu, den zähen Beruf von Beamteten am flachen Land zu durchforsten. Autosexualität ist also als eine Art unauffälliges Überlebenstraining zu verstehen.

Urs Faes, Sommerschatten

h.schoenauer - 09.05.2025

Urs Faes, SommerschattenAnwesenheit ist wahrscheinlich die letzte Jahreszeit, die einem im Leben beschert ist. Alle bisherigen Lebensabschnitte sind verschwommen und selbst für die Erinnerung nur mehr als Schatten wahrnehmbar. Die Sommerschatten legen sich allmählich über das betagte Leben und dimmen die Lichtquellen.

Urs Faes „Sommerschatten“ ist ein kleiner Dimm-Roman, worin über ein spätes Glück Bilanz gezogen wird, das sich als Schlussteil eines fragilen Beziehungsbogens spät eingefunden hat. Dem Ich-Erzähler ist eine Beziehung mit der Cellistin Ina widerfahren.

Martin Dragosits – Podium Porträt 131

h.schoenauer - 07.05.2025

Martin Dragosits, Podium Porträt 131Gedichte sind wie seltene Erden, hoch gefragt, aber schwer zu schürfen. Es bedarf freundschaftlicher Unterstützung, um als Leser zu jener Rarität vorzudringen, die uns oft nur für wenige Augenblicke berührt.

Ein Werkzeug zum Schürfen dieser Gedichte ist die Serie „Podium Porträt“. Dabei wird im bewährten Postkartenformat das lyrische Werk von Zeit-Genießenden vorgestellt, die dabei Gedichte oder Kurzprosa verfassen. Denn die Zeit wird in diesen Sphären in Vers-Einheiten oder Gedankenschüben gemessen, meist ist es fünf vor zwölf, manchmal auch schon etwas später.

Miriam Unterthiner, Blutbrot

h.schoenauer - 30.04.2025

Miriam Unterthiner, BlutbrotWie ein Fisch ständig Wasser im Mund hat, um zu überleben, hat der Mensch am Lande Brot im Mund, und wenn um das tägliche Brot gekämpft wird, entsteht das Blutbrot.

Miriam Unterthiner stellt mit dem Genre Theatertext beiden Publikumsschichten eine aufrüttelnde Story in Aussicht. Einmal sind es die Theater-Affinen, die vielleicht in den Genuss eines Releases kommen, zum anderen sind es Lesende, die sich die Geschichte selbst ausmalen können. Der Plot handelt von der „Rattenlinie“, als Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg quer durch Südtirol unterwegs waren, teils geschützt von den Bodenständigen, um wie Mengele das Endziel Argentinien zu erreichen.

Selma Mahlknecht, Schaukler

h.schoenauer - 28.04.2025

Selma Mahlknecht, SchauklerIn der Prokulus-Kirche bei Naturns sitzt eine Figur auf einem gemalten Seil und schaukelt. Sie macht das so kühn und jenseits aller physikalischen Gepflogenheiten, dass die Menschen ihre Reise abbrechen und nachschauen, was es mit diesem Fresko aus alter Zeit auf sich hat. – Ist es überhaupt Kunst, was es da zu bestaunen gilt? Ein Kind sagt dazu verblüffend klar: Es ist ein Engel!

Selma Mahlknecht setzt mit ihrem Roman „Schaukler“ ein aufregendes Zeichen, wie man als kleiner Punkt auf der irdischen Weltkarte mit der großen Geschichte und dem Lauf der Welt umgehen könnte. Ihr Roman zelebriert hundert Jahre frische Entdeckung der mittelalterlichen Fresken rund um den Schaukler in Naturns 1923.

Rudolf Kraus, versvermessung

h.schoenauer - 25.04.2025

Rudolf Kraus, versvermessungLyrik wird gespeist aus einem Befinden, das als Ur-Ozean bezeichnet wird. Der Essayist Alexander Kluge vermutet von diesem Urzustand, dass er den Subjekten eine stabile Körpertemperatur vermittelt, die ungefähr bei 37 Grad liegt.

Rudolf Kraus rückt diesem poetischen Raum mit einer „Versvermessung“ auf den Leib. Dabei macht er sich die Fähigkeit von Lyrik zu Nutze, wonach diese gleichzeitig als Gesang, arithmetische Operation oder rhythmische Aktion auftreten kann.

Ein Blick auf die Gliederung dieser poetischen Masse lässt einen an einen „lyrischen Auszählreim“ denken: