In den Alpen gibt es ein ständiges Ringen darum, welches A-Wort die Kinder als erstes aussprechen: Auto oder Alm. Beides sind mythologisch hinterlegte Glücksvorstellungen, die vor allem eins sind – ein Riesengeschäft.
Francesco Gubert steuert mit seinem Erfahrungsbericht „Weiche Butter, raue Hände“ eine rare Hintersicht auf den Mythos Alm bei. Vor Jahren hat er selbst als Saison-Senner Käse und Butter gemacht und auf das anvertraute Vieh geschaut. Sein Bericht ist im literarischen Ton eines geforderten Helden gehalten, der selbst nicht weiß, wie die Sache ausgeht.
Zum Beginn des „Alm-Abenteuers“ ist der Erzähler nämlich mitten im Doktoratsstudium, wo er sich in einem österreichischen Forschungszentrum mit dem Aufwuchs von Gras beschäftigt. Da erreicht ihn ein Angebot im Valslugana, er möge eine Saison auf der Alm arbeiten.
Die „griffige“ Formulierung von weicher Butter und rauen Händen greift drei konträre Diskussions-Pole auf.
- Wie reagiert die Psyche eines Intellektuellen auf die Instinkte, die in einer hochgelegenen Arbeitswelt gefragt sind?
- Wie kommt die Philosophie des kargen Überlebens, die sich über Jahrhunderte entwickelt hat, mit der mechanisierten und digitalisierten Welt zurecht, die längst in allen Höhenlagen Einzug gehalten hat?
- Was macht der triviale Alltag mit den Sonntagsbildern, die ausgestreut werden, um das Überlebensgeschäft in Hochlagen in Gang zu halten?
In einer straff protokollierten Rückschau schlüsselt der Autor seine persönlichen Erfahrungen auf, indem er dem individuell Erlebten sachliche Überschriften gibt. So erfährt man das Wichtigste von den Vorbereitungen, den historisch gewachsenen Vereinbarungen zwischen Viehhaltern und Personal, den Voraussetzungen für das Käsen und Buttern, sowie den Zusammenhang zwischen Theorie im Labor und den Handfertigkeiten oberhalb der Baumgrenze.
Neben diesen Einblicken in die Arbeitswelt der Sennerei ist es aber der persönliche Alltagskampf, der das Tagebuch bemerkenswert macht. Das Verhältnis der „zuschauenden“ Besucher und des Butter knetenden Helden lässt erahnen, wie unüberbrückbar gerade im Almtourismus die Diskrepanz zwischen schönen Bildern und beinahe prekärer Lebensqualität des Personals ist.
Dazu gesellt sich eine Innenschau in die Biographien der Betroffenen. In der Hauptsache sind es Routine, Wortlosigkeit und gelernte Einsamkeit, die jene mit dem Vieh aufgetriebenen „Anarchen“ über die Runden kommen lassen.
Das Setting gerät jedes Jahr zur reinen Glücksache, wenn sich manche Charaktere nicht vertragen und erst in der Höhe draufkommen, dass sie nicht miteinander können.
So muss letztlich der Autor knapp vor Ende der Saison das Handtuch werfen, weil er mit einem gewalttätigen Co-Senner, der gerade seine Pubertät auslebt, nicht zurechtkommt.
Für den Erzähler ist dies die wertvollste Erfahrung für jenes weitere Leben, in dem Intellekt, Bodenständigkeit und Zupacken harmonisch in Einklang gebracht werden sollen. – Zumindest ist das die Lehre aus dem Almabenteuer.
Für die Leser bereitet dieses Buch den Blick auf die Hinterseite der schönen Almwirtschaft. Wie im Tourismus üblich, hat jeder Handgriff, der dem Konsumenten zugutekommt, einen bitteren Beigeschmack bei denen, die diese Handriffe ausführen.
Butter und Hand stehen im ähnlichen Verhältnis wie Tourist und Dienstleister.
Diese Erkenntnis trifft sich gut mit einer Aussendung diverser Alpenvereine für die aktuelle Saison. Die Alm sei kein Laufsteg, heißt es darin, „bitte packen Sie nur das Nötigste ein, duschen Sie kurz, und schalten Sie das Handy aus, wenn Sie auf einer Hütte im Gebirge übernachten!“
Weiche Butter, raue Hände ist ein „weicher“ Appell, die Schätze der Alm zu genießen und dabei einen gerechten Blick auf jene zu richten, die diese Schatzsuche erst ermöglichen.
Francesco Gubert, Weiche Butter, raue Hände. Tagebuch einer Almsaison. A. d. Ital. von Henrieke Markert
Bozen: Edition Raetia 2025, 136 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-88-7283-972-0
Weiterführender Link:
Edition Raetia: Francesco Gubert, Weiche Butter, raue Hände
Helmuth Schönauer, 27-07-2025