Andreas Neeser, Wie halten Fische die Luft an

Unheimlich lautlos friert den Enten der Teich zu – in der Lyrik geschieht das Ungeheure tatsächlich lautlos, wie in einem Horrorfilm wird der Leser bei seinen Emotionen gepackt, gefesselt und vom Rand her eingefroren.

Andreas Neeser ist ein Meister der unscheinbaren Irritation. Die alte Kinderfrage, wie halten Fische die Luft an, animiert ihn zu einer Neuverknüpfung der Welt in scheinbar altbekannten Bildern. Das Programm dieser Lyrik wird vielleicht im Eingangs-Tableau klar ersichtlich. In einem von vorne herein als kunstvollen Ausschnitt der Welt definierten Tableau wird ein harmloser Blick aus dem Fenster vorgegaukelt, der aber im Leser als Blick in die Kindheit, das Aufschlagen einer alten Kinderbuch-Seite oder als gegoogeltes Wimmel-Bild abgerufen werden kann.

Drei Krähen / landen hungrig im Bild / zerhacken wie Tiere / die Kirschen am halbtoten Ast; / im Schlaf war der krachend geborsten / vor Furcht. (7)

Vor allem dass der Traum des gerade ausgestandenen Schlafes bei Bewusstsein psychologisch zerhackt werden muss in geradezu tierischen Aktionen, erklärt etwas vom Zusammenhang zwischen Traum, Schlaf und Tagtraum, wie er in den Gedichten Andreas Neesers immer wieder aufgezeichnet wird.

Die Gedichte sind unter drei Kapitel-Filtern ausgelegt: Aus den Halden der Nacht / Schichten von Haut / Lichtwuchs. Auch hier ist die Kurve zwischen Nacht, der Nähe der Empfindungen durch die Haut und dem aufkeimendem Licht angedeutet.

der Sturm trieb uns näher | in eins | schlug der Puls, bis er stockte | bei Windstärke acht | fiel ein Baum aus der Rinde, und uns wurde schwindlig vor Haut (29)

Es sind diese hundertmal geübten Erklärungen elementarer Ereignisse, die unter die Haut gehen. Wie oft schon ist das Gemüt durchfegt worden von einem wilden Sturm, aber gerade dieses Mal, genau bei diesem Gedicht, gibt es das erklärende Bild dazu, dass ein Baum aus der Rinde gefallen ist.

Das lyrische Ich quasi in eine Ente zu setzen ist ohnehin ein Genie-Streich, wie er auch in der guten Lyrik nur zu besten Zeiten vorkommt.

Auf halbem Weg // Unheimlich lautlos / friert den Enten der Teich zu / das Eis wächst vom Rand her / wie Hunger zum Herz [...] (63)

Und so gibt es unter dem Lichtwuchs der Zukunft tatsächlich die Kraft, Wünsche zu formulieren wie im abgeklärten Psycho-Märchen.

Zwei Wünsche // Einmal / am leichteren Ende der Nacht / nur noch einmal erwachen / mit Schwimmhaut, und // einmal da oben / so stehen, ganz Flügel / im Sturm. (71)

Andreas Neeser spielt in der Lyrik in einer eigenen Klasse. Seinen Gedichten ist oft eine eingefrorene Story zu Grunde gelegt wie bei einem Witz, dabei treten die Pointen zuerst unverdächtig auf, ehe sie dann im Leser implodieren und diesen mitten in ein Tableau noch nicht ausgestandener Gefühle setzen.  – Ein Band voll von intellektuell hochstehenden Emotionen!

Andreas Neeser, Wie halten Fische die Luft an. Gedichte
Innsbruck: Haymon 2015, 75 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-7099-7219-9

 

Weiterführende Links:
Haymon Verlag: Andreas Neeser, Wie halten Fische die Luft an
Wikipedia: Andreas Neeser

 

Helmuth Schönauer, 28-09-2015

Bibliographie

AutorIn

Andreas Neeser

Originaltitel

Wie halten Fische die Luft an. Gedichte

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Haymon Verlag

Seitenzahl

75

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-7099-7219-9

Kurzbiographie AutorIn

Andreas Neeser, geb. 1964, lebt in Suhr bei Aarau.