Andrew Keen, Das digitale Debakel

„Je mehr wir das digitale Netzwerk von heute nutzen, umso weniger wirtschaftliche Werte schafft es. Es sorgt sich nicht um ökonomische Gerechtigkeit, sondern ist der Grund für die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich und für die Aushöhlung der Mittelschicht.“ (7f)

Der Traum der Gründerjahre scheint endgültig geplatzt zu sein, wo in das Internet noch die Hoffnung auf den endgültigen Sieg der Demokratie gesetzt wurde, der durch eine pluralistische, für alle zugängliche Informations- und Meinungsfreiheit, fernab von staatlicher Kontrolle erreicht werden sollte. Heute, rund 25 Jahre nach dem Start des World-Wide-Webs hat das „freie“ Internet zu einer radikalen Umstrukturierung der Wirtschaft geführt, die hierarchisch strukturiert, monopolisiert und von einer neuen Oligarchie beherrscht wird.

Andrew Keen, selbst Gründer eines erfolgreichen Internetunternehmens im Silicon Valley, bietet erstaunliche Einblicke in die Welt der Internet-Gurus, meist jugendliche Studenten oder Studienabbrecher, die sich mittlerweile Multi-Millionäre und Milliardäre geworden sind und sich in abgeschlossenen Zirkeln Gedanken über die weiteren Entwicklungen im IT-Bereich machen, die das Leben der Menschen massiv beeinflussen werden.

Keen kritisiert die Monopolisierung, die durch das Internet hervorgebracht wird, was er am Beispiel des größten Online-Händler Amazon plastisch vor Augen führt, wie z.B. die zunehmende Macht auf den Buchmarkt und die Verdrängung kleiner Buchverlage und Buchläden.

Die Buchbranche, die Bezos‘ Unternehmen [Jeff Bezos, Präsident von Amazon – Anm. A.M.-H.] zunächst begeistert aufnahm, ist inzwischen vergällt. Als „alkoholkranken Prügelvater, Scharlatan, gieriges Raubtier und Nazi“ titulierten Verleger und Buchhändler Amazon inzwischen, so Forbes-Auto Jeff Bercovici. (64)

Es sind vor allem die libertären Geschäftspraktiken, die Keen an den zahlreichen Start-ups aus dem Silicon Valley kritisiert, die sich über alle sozialen Rücksichten hinwegsetzen und mit neuen Ideen Lücken in den rechtlichen Spielregeln der Gesellschaften ausfindig machen, um viel Geld zu verdienen, wie z.B. die direkt Vermittlung leerstehender Zimmer durch Airnb oder das Car-Sharing-Unternehmen Uber, deren Geschäftspraktiken mittlerweile in einigen Ländern genauer unter die Lupe genommen werden.

Aber auch soziale Netzwerke, wie Facebook, werden von Keen scharf kritisiert, mit denen die Privatsphäre der Menschen sukzessive abgebaut wird.

In zehn Jahren „werden tausendmal so viele Daten über Facebook-Nutzer durch das Netz fließen“, sagte Zuckerberg zu Kirkpatrick und fügte hinzu: „ Die Menschen werden Geräte dabei haben, die das, was ihnen widerfährt, automatisch teilen. Das ist absehbar.“ Eine erschreckende Vision, die leider bereits Wirklichkeit wird …“ (85)

Andrew Keen, der quasi aus dem Nähkästchen erzählen kann und viele der wichtigsten Protagonisten der Internet-Firmen des Silicon-Valleys persönlich kennt, wirft einen überaus kritischen und besorgniserregenden Blick auf die derzeitigen und zukünftigen Entwicklungen der digitalen Welt.

Mit viel Hintergrundwissen aber auch sehr emotional zeigt er auf, wie die ursprünglichen Ideale der Internetaktivisten verlorengegangen sind. Vor allem aber ruft er dazu auf, das Aussehen und die Zukunft der Welt von morgen nicht einer kleinen Elite im Silicon Valley zu überlassen. Ein überaus empfehlenswertes Sachbuch über die aktuellsten Entwicklungen im Internet-Bereich, das nachdenklich macht.

Andrew Keen, Das digitale Debakel. Warum das Internet gescheitert ist - und wie wir es retten können, übers. v. Jürgen Neubauer [Orig. Titel: The Internet is not the Answer]
München: DVA 2015, 320 Seiten, 20,60 €, ISBN 978-3-421-04647-5

 

Weiterführende Links:
DVA: Andrew Keen, Das digitale Debakel
Wikipedia: Andrew Keen

 

Andreas Markt-Huter, 16-11-2015

Bibliographie

AutorIn

Andrew Keen

Buchtitel

Das digitale Debakel. Warum das Internet gescheitert ist - und wie wir es retten können

Originaltitel

The Internet is not the Answer

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

DVA

Übersetzung

Jürgen Neubauer

Seitenzahl

320

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-421-04647-5

Kurzbiographie AutorIn

Andrew Keen wurde in Hampstead geboren und studierte Geschichte und Politikwissenschaft in London, Sarajevo und an der University of California. Er lehrte an mehreren US-amerikanischen Universitäten und gründete 1995 ein erfolgreiches Internetunternehmen im Silicon Valley. Der britisch-amerikanische Autor, Redner und Unternehmer zählt weltweit zu den einflussreichsten Kritikern des Internets. Andrew Keen lebt mit seiner Familie in Berkeley.