Anthony McCarten, Ganz normale Helden

Kann eine Familie virtuell repariert werden, wenn sie in der Realität zerfallen ist? - Ganze Generationen von Eltern sitzen mittlerweile vor dem Problem, dass ihre Kids im Netz abgehauen sind und im eigenen Zimmer verschollen bleiben.

Anthony McCarten geht der Frage nach, ob ein Spiel im Netz die Wirklichkeit ersetzen kann und ob es zwischen diesen Welten tragfähige Brücken gibt. Die entscheidende Zeit im Netz ist die Gegenwart, weshalb der Roman Zeit-verkehrt aufgebaut ist. Ende-Mitte-Anfang heißt logischerweise die Reihenfolge, der sich Helden im Internet-Spiel zu stellen haben.

Die Familie Delpe lebt in London durchaus auf Erfolgskurs, Vater Jim ist erfolgreicher Anwalt, Mutter Renata verwirklicht sich, indem sie mit Gott chattet, aber der jüngere Sohn ist an Krebs verstorben und der ältere ins Internet geflüchtet. Da die Eltern miteinander nicht mehr zurecht kommen, versuchen sie, über den Sohn  zu kommunizieren, dieser muss auf alle Fälle für die sogenannte Realität gerettet werden.

Vater Jim steigt in der Folge in den virtuellen Spielbetrieb ein und lässt sich von seltsamen Guides in die Welt des Maus-gesteuerten Schwertes einführen, gleichzeitig verstärkt die Mutter den Kontakt zu Gott. Bald einmal ist klar, dass der abgetauchte Sohn im Internet steckt, einem Reich das zwischen Erde und Jenseits ausgelegt ist.

Während es im Realbetrieb der Familie bergab geht, taucht der Anwalt in die Virtualität ein und entwickelt sich dabei zu einem durchaus respektierten Kämpfer in der Schwert-Welt. Nach außen hin hat er sich ein Haus am Land gekauft und einen passenden Hund erworben, den er „Stinker“ nennt. Vom Sohn kommen aus dem Netz immer dramatischere Spielanleitungen und Lebenszeichen.

Die Situation implodiert, als Figuren aus dem Netz in die Realität eingreifen, der befürchtete Super-Gau der virtuellen Szene ist nicht mehr aufzuhalten. Die scheinbar edlen Helden der diversen Welten erweisen sich als ziemlich normal, indem sie fast archaisch auf eigene Trieb- und Glücksgefühle vertrauen.

Anthony McCarten gibt in seinem Roman so nebenbei durchaus logische Einführungen in die Cyber-Kultur und erklärt auch der älteren Generation, wie es sich mit der Spielwelt umgehen lässt. Das eigene Kind im Internet zu suchen, ist vielleicht eine interessante Komponente, überzeugend fällt die Lösung jedoch nicht aus.

Und was hat nun Neuseeland in diesem  Neuseeland-Roman verloren? Einmal schaut jemand nach, wie das Wetter in Wellington ist, um den Partner in Echtzeit zu überführen, falls er nicht in Neuseeland wäre. - So also erscheint Neuseeland auf der Frankfurter Buchmesse, sehr fern und kaum erkennbar als Fußnote des Internets.

Anthony McCarten, Ganz normale Helden. Roman. A. d. Engl. von Manfred Allié und Gebriele Kempf-Allié. [Orig.: In the Absence of Heroes, Random Neuseeland 2012].
Zürich: Diogenes 2012. 453 Seiten. EUR 23,60. ISBN 978-3-257-86218-8.

 

Weiterführende Links:
Diogenes-Verlag: Anthony McCarten, Ganz normale Helden
Wikipedia: Anthony McCarten

 

Helmuth Schönauer, 10-08-2012

Bibliographie

AutorIn

Anthony McCarten

Buchtitel

Ganz normale Helden

Originaltitel

In the Absence of Heroes

Erscheinungsort

Zürich

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Diogenes-Verlag

Übersetzung

Manfred Allié und Gebriele Kempf-Allié

Seitenzahl

453

Preis in EUR

23,60

ISBN

978-3-257-86218-8

Kurzbiographie AutorIn

Anthony McCarten, geb. 1961 in New Plymouth/Neuseeland, lebt u.a. in Wellington.