Barbara Tuchman, August 1914

„Österreich-Ungarn beschloß [sic!], mit der kriegslüsternen Leichtfertigkeit überalterter Kaiserreiche, die Gelegenheit dazu zu benutzen, sich Serbien einzuverleiben, wie es sich im Jahre 1909 Bosnien und die Herzegowina angeeignet hatte.“ (79)

Wie in einem dramatischen Roman ziehen die Ereignisse im ersten Kriegsmonat des 1. Weltkriegs an den Augen der Leserinnen und Leser vorbei, vom Überfall des deutschen Heeres in Belgien, dem erbitterten belgischen Widerstand, dem fehlgeschlagenen offensiven Konzept der französischen Armee, dem britischen und russischen Eingriffen bis zum Erstarren der Front im Westen zu einem Stellungskrieg, der mehr als vier Jahre anhalten und Millionen von Opfern kosten sollte.

Geschickt hat sich Tuchman das Begräbnis des englischen Königs Eduard VII. ausgewählt und als Metapher für das zu Grabe tragen des alten Europas gezeichnet. Gleichzeit bietet das Ereignis die Möglichkeit, die wichtigsten Länder und deren Protagonisten vorzustellen, wobei gerade die engen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Herrscherhäusern Englands, Deutschlands und Russlands, den Irrsinn des Weltkrieges verstärkt empfinden lassen.

In einer Vorgeschichte zum Kriegsausbruch werden die verschiedenen Voraussetzungen, Überlegungen und Planungen der großen politischen Player in Europa vorgestellt. Auf militärischer Seite entwickelte sich auf deutscher Seite der Plan, einen Vorstoß auf Frankreich über Belgien durchzuführen. Die Franzosen auf der anderen Seite waren gefesselt von der „Doktrin der Offensive“, mit der sie einen möglichen Krieg rasch für sich entscheiden zu können glaubten, die sie letztendlich aber in große Bedrängnis bringen sollte.

Die Engländer selbst waren mit eigenen Problemen in Irland beschäftigt und an nichts weniger interessiert, als an einer Auseinandersetzung in Europa. Die russische Armee wiederum wurde, trotz aller bekannten Mängel mit dem Bild der „russischen Dampfwalze“ verbunden.

Das Kapitel „Kriegsausbruch“ setzt sich minutiös mit den Ereignissen und Handlungen vom Zeitpunkt der Ermordung des österreichischen Thronfolgers in Sarajewo auseinander. Besonderen Schwerpunkt legt die Darstellung dabei auf die großen Zentren Berlin, Paris und London, während Wien und Moskau weitgehend unberücksichtigt bleiben. Detailliert wird  das Ultimatum Deutschlands an Belgien, mit dem der Durchzug deutscher Truppen erzwungen werden sollte, Englands Reaktion und der Beginn des Weltkrieges aufgezeigt.

Das umfangreiche Kapitel „Kämpfe“ stellt die Kämpfe, Strategien und Hintergrundinformationen zur Anfangsphase des Weltkrieges vom 1. August, dem Einmarsch in Belgien bis zum 5. September, der Schlacht an der Marne, dar. Es ist jene Phase des Krieges, in der die Armeen durch offensive Kriegsführung die geplante schnelle Entscheidung zu erwirken versuchten.

Dabei gelingt es der deutschen Armee bis knapp vor Paris zu kommen, um schließlich in einen langjährigen Stellungskrieg gefesselt zu werden. Im Osten hingegen gerät die russische Armee nach Erfolgen gegen Österreich gegen die Deutschen recht schnell in Bedrängnis.

Barbara Tuchmans im Jahr 1962 verfasstes Geschichtswerk „August 1914“ gehört mittlerweile zu den Klassikern der Zeitgeschichtsschreibung. Sie erzählt mit großer Leidenschaft die Geschichte eines Krieges, der die Machtverhältnisse weltweit entscheidend verändern sollte. Auch wenn in manchen Urteilen, Vorurteilen und Betrachtungen die notwendige Distanz des Historikers zu vermissen ist, vermag sie durch ihre kräftige erzählende Darstellung die Leserinnen und Leser zu fesseln und mitten in die Ereignisse hineinzuziehen.

Das überaus empfehlenswerte Sachbuch ist ein meisterhaftes Werk der erzählenden Geschichtsschreibung, das in verständlicher Sprache vor allem die handelnden Individuen, mit ihren Stärken und Schwächen in den Mittelpunkt stellt.

Barbara Tuchman, August 1914. Übers. v. Grete Felten / Karl Eberhard Felten [Orig. Titel: The Guns of August]
Frankfurt a. Main: Fischer Taschenbuch 2013, 527 Seiten, 13,40 €, ISBN 978-3-596-19734-7

 

Weiterführende Links:
Fischer Verlag: Barbara Tuchman, August 1914
Wikipedia: Barbara Tuchman

 

Andreas Markt-Huter, 08-10-2014

Bibliographie

AutorIn

Barbara Tuchman

Buchtitel

August 1914

Originaltitel

The Guns of August

Erscheinungsort

Frankfurt a. Main

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Fischer Taschenbuch Verlag

Übersetzung

Grete Felten / Karl Eberhard Felten

Seitenzahl

527

Preis in EUR

13,40

ISBN

978-3-596-19734-7

Kurzbiographie AutorIn

Barbara Tuchman (1912-1989) war eine amerikanische Historikerin und Bestsellerautorin. Für ihr Buch „August 1914“ wurde sie mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet. Ihre Werke gelten als moderne Klassiker der erzählenden Geschichtsschreibung.