Christl Greller, Im Narrenturm

In der Psychiatrie des 18. Jahrhunderts gilt der Narrenturm als eine durchaus moderne Einrichtung, um die gestörten Persönlichkeiten industriell zu beobachten und zu bewachen. In der Literatur gilt der Narrenturm folglich als Chiffre für einen erhöhten Erzählstandpunkt, von dem aus die Zuwendung für diverse Helden und Situationen gesteuert werden kann.

Christl Greller geht aus der Sicht des Narrenturm-Zentrums über zwanzig seltsamer Schicksale nach, die in den Erzählungen kurz aufblitzen, aber noch während man die Kranken-Akte öffnet, schon wieder in einer neuen Tagesepisode verschwunden sind.

Auf einer entlegenen Insel richtet sich ein junges Paar zwischen Heidekraut und Schafskot auf Arbeitssuche ein, es ist dieses seltsame Oszillieren eines Leuchtturms, das beide fasziniert. Im Unkraut liegt ein Schild mit einem verwischten Namen und einem Datum drauf. Tagelang beschäftigt Doreen dieses Schild, stammt es von einem Friedhof, einer Verlobung, einem Unfall? Allmählich gehen die Beobachtungen in eine Lehre geheimnisvoller Zeichen über. Am Schluss ist die Frau verschwunden, nur das Fahrrad liegt als Zeichen im Gras.

In einem anderen Erzähl-Ausguck hält die Hitze den ganzen Landstrich nieder, eine Frau legt sich daher auf den Beton, ausgestreckt als Insekt, und lässt die Wespen über sich herfallen. Hitze, Kühle, Erotik, der Körper glüht unter Tausenden von Stacheln.

Unter „schwerem Himmel“ hat auch eine Bäuerin zu leiden, die in ihrer Arbeit aufgeht im Jahreskreis des Mastbetriebs. Zwischen dem persönlichen Lebenslauf und dem Auftrieb der Tiere, der Mast und dem Abferkeln besteht bald kein Unterschied mehr. Die Haustier-Sorten erzählen verschiedene Geschichten, aber die Grundbotschaft ist immer die gleiche: Begattung, Abferkeln, Außer-Haus-Geben. Das Leben ist schön, redet sich die Frau ein, ehe aus den Heuballen dann wieder die Sehnsucht herausstäubt.

Ein gesetzter Mann im Jagdoutfit hat „hochfliegende Ziele“. Er bereitet sich für einen Leistungsvergleich im Tontauben-Schießen vor und bedient sich dabei aller rabiater Macho-Hilfsmittel, die dieses Hobby erfordert. Outfit, Allrad, Waffen, schwerer Schritt, alles dient nur dazu, den Körper in Geschmeidigkeit zu formen.

Doch nicht alles war käuflich. Da war der Körper, gewachsenes Sportgerät, von der Natur zugeteilt in unterschiedlicher Qualität. (212)

Der Orgasmus, den das Auftauchen der Tonscheiben am Firmament auslösen, lässt sich nicht mehr herunterfahren, wenn die Waffe einmal hoch gekriegt ist, erst ein Amoklauf kann alles wieder abschwellen lassen.

Als Leser im Zentrum des Narrentums sehen wir den Helden zu, wie sie einen aufregenden Moment hinlegen, den unsere Überlegungen nach vorne und hinten weiterspinnen. Wie immer beim klassischen Narrentum weiß niemand, wer der Beobachtete und wer der Beobachter ist.

Christl Greller, Im Narrenturm. Erzählungen.
Mödling: Edition Roesner 2014. 283 Seiten. EUR 21,50. ISBN 978-3-902300-83-6.

 

Weiterführender Link:
Edition Roesner: Christl Greller, Im Narrenturm

 

Helmuth Schönauer, 17-04-2014

Bibliographie

AutorIn

Christl Greller

Buchtitel

Im Narrenturm

Erscheinungsort

Mödling

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Edition Roesner

Seitenzahl

283

Preis in EUR

21,50

ISBN

978-3-902300-83-6

Kurzbiographie AutorIn

Christl Greller, geb. 1940 in Wien, lebt in Wien.