Daniela Böhle / Paul Bokowski (Hg.), Die Letzten werden die Ärzte sein

Wenn ein Thema ein Leben lang tierisch ernst behandelt wird wie der Kosmos Krankheit, löst schon die Aussicht, dass darüber Satiren und Grotesken verfasst werden, erwartungsvolles Gelächter aus.

Daniela Böhle und Paul Bokowski haben gut dreißig Satirikerinnen und Schreibhypochonder eingeladen, um dem Unwesen Arzt – Krankheit – Patient mit kurzen Erzählungen eine neue Sichtweise abzuluchsen.

Gleich in der ersten Geschichte wird die Krankheit als Ausweg für alles dargestellt. Der Erzähler bildet sich bei jeder Handbewegung eine Krankheit ein, die sich dann auch einfindet. Wird er angesprochen, löst er alle Fragen mit dem gesprächsletalen Hinweis „Ich bin krank“. Obwohl diese Lebensführung recht anstrengend ist, vergehen die Tage dabei wie im Nu, Krankheit kann nämlich in Arbeit ausarten.

Die Hauptrolle im modernen Krankenhausbetrieb spielen in deutschen und österreichischen Anstalten die Zivis, die für den Körperkontakt und vor allem für den Hinterteil des Patienten zuständig sind. Wenn so ein Helfer dann zu Neujahr einen guten Rutsch wünscht, meint er damit freilich etwas Ausgeschiedenes, wie ein Blick auf Urinflasche und Scheißpfanne zeigt.

Die Gründe, um einen Arzt aufzusuchen, können mannigfaltig sein, beispielsweise ist es in einer Hartz-Vier-Gegend durchaus üblich, jene Ärzte aufzusuchen, die die besten Zeitschriften im Warteraum führen.

Nach der Ausbildung zum Hypnotiseur suchen die Meister oft krampfhaft Opfer, um ihre Künste unter Beweis zu stellen. Jemand, der gegen Rosen allergisch ist, lässt sich daher hypnotisieren, weil es eh schon Wurst ist.

Der Tagesablauf eines Hypochonders schließlich ist dermaßen umfangreich, dass er mit normalen Erzählmitteln nicht dargestellt werden kann, denn jede Form der Äußerung ist an sich schon wieder eine potentielle Krankheit. Unter diesem Aspekt sollte man vielleicht einmal die Literaturgeschichte analysieren.

Im abschließenden Kurz-Sketch muss der Patient als Begrüßung „aaah“ sagen, und als er sich als Dichter outet, bekommt er sofort eine passsende Krankheit verschrieben.

Die 35 Geschichten sind alle aus einem gesunden Zustand heraus geschrieben, sie strotzen vor Übertreibung und Einfalt, mit den dargestellten Fällen kann man durchaus punkten und man bringt es damit vielleicht sogar zu einem bestimmten Ansehen. Bei makellosen Krankheiten freilich helfen die Geschichten nicht mehr, das ist ja das Wesen einer Krankheit, dass sie sich nicht lächerlich machen lässt. - Ein aufschlussreiches Vergnügen, das einem hilft, sich über kleinere Krankheiten und deren Bekämpfer hinwegzusetzen.

Daniela Böhle / Paul Bokowski (Hg.), Die Letzten werden die Ärzte sein. 35 Geschichten, krank geschrieben.
Berlin: Satyr 2014. 191 Seiten. EUR 13,30. ISBN 978-3-944035-29-1.

 

Weiterführender Link:
Satyr Verlag

 

Helmuth Schönauer, 03-07-2014

Bibliographie

Buchtitel

Die Letzten werden die Ärzte sein. 35 Geschichten, krank geschrieben

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Satyr Verlag

Herausgeber

Daniela Böhle / Paul Bokowski

Seitenzahl

191

Preis in EUR

13,30

ISBN

978-3-944035-29-1

Kurzbiographie AutorIn

Daniela Böhle, geb. 1970 in Köln, lebt in Berlin.<br />Paul Bokowski, geb. 1982 in Mainz, lebt als Hypochonder in Berlin.