Dine Petrik, Flucht vor der Nacht

Letztlich sind viele Typen prädestiniert, sich vor der Nacht zu fürchten. Die Kinder, wenn sie mit Gruselprogramm zu Bett gebracht worden sind, die erotisch Inspirierten, wenn das Tun nicht mehr mit dem Wollen übereinstimmt, die Künstler, wenn sie in der Finsternis dem aufgeklärten Licht ihrer Werke entrückt sind.

Dine Petrik nimmt diese Flucht vor der Nacht zum Anlass, um einen Künstler anlässlich des Millennium-Sprungs Bilanz ziehen zu lassen. Dabei wird nicht nur der kaputte Maler seziert, auch die Gesellschaft der Adabeis und die ganze Hautevolee kommen anlässlich der Silvesternacht 2000 an ihre Grenzen und werden somit an die Finsternis herangeführt.

Vom Plot her gesehen handelt es sich vor allem um den Künstlerroman eines kaputten Genies. Zu Beginn zieht eine angetrunkene Gesellschaft durch die Hotspots einer Wiener Galeristen-Szene. Am Ende stehen die Typen in der Kippe zum neuen Jahrtausend und trauen sich nicht so recht drüber.

Protagonist ist der Maler Ben Bogathy, der zwischen Wien und London künstlerisch und erotisch hin und herpendelt. Allmählich hat er den Überblick verloren, seine Affären und Partnerschaften sind ihm über den Kopf gewachsen, er kriegt ein dementsprechendes Alkoholproblem, und der Zusammenbruch dient dazu, ein bisschen Klarheit zu schaffen.

Im Vollrausch prosten sich Ben und sein Kollege Armin in die Klarheit.

Catherine, meine Ex ist tot, die Geliebte ist Edith, und wer ist Olivia? (151)

Aus der Sicht der Frauen schaut die Sache ganz anders aus, zwar wissen sie oft selbst nicht, warum sie sich diesen Wirbel antun. Was aus der Sicht des Genies eine große Geste ist, fällt für die Frauen recht handfest und ruppig aus. Am Beispiel einer Abtreibung kommt die Rollenverteilung in Schieflage. Der Mann brüllt etwas von Ruin, das muss weg, dann wird die Summe für den Eingriff auf Kredit aufgenommen und anschließen halbe-halbe gemacht. Die Frau empfindet das zwar als ungerecht, aber es ist so, wenn Genie auf Frau trifft.

Über diesen Künstlerroman ist freilich ein Kunst-Beadeker gelegt. Es gibt kaum ein Zusammentreffen der Helden, wobei nicht eine Kunsttheorie diskutiert würde, kaum eine Straßenecke, wo nicht interessante Architektur zum Vorschein kommt und kaum eine Liebschaft, wo nicht ernsthaft über den Sinn des Zusammenseins und Auseinandergehens diskutiert würde. Auch hier fürchten die Beteiligten oft um den Verstand, weil eine Nacht intensiver sein kann als der Tag. (171)

Im heftigsten Schlamassel und in den größten Enttäuschungen glauben die Protagonisten freilich daran, dass sich das Leben im gebildeten Zustand besser aushalten lässt. Deshalb wird ständig herumgefahren, studiert, absolviert und emigriert in der Hoffnung, dass die Welt besser wird, wenn man sie studiert. So gesehen kann das Ende auch ein optimistischer Sprung ins neue Jahrtausend sein, eine Flucht heraus aus der Nacht der Vergangenheit.

Dine Petrik, Flucht vor der Nacht. Roman
Weitra: Bibliothek der Provinz 2015, 192 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-99028-367-7

 

Weiterführende Links:
Bibliothek der Provinz: Dine Petrik, Flucht vor der Nacht
Wikipedia: Dine Petrik

 

Helmuth Schönauer, 17-05-2016

Bibliographie

AutorIn

Dine Petrik

Buchtitel

Flucht vor der Nacht

Erscheinungsort

Weitra

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Bibliothek der Provinz

Seitenzahl

192

Preis in EUR

20,00

ISBN

978-3-99028-367-7

Kurzbiographie AutorIn

Dine Petrik, geb. 1942 im Burgenland, lebt in Wien.