Dorothea Macheiner, Bei gleichzeitigem Verschwinden

h.schoenauer - 07.03.2018

Essays sind fürs erste einmal große Gedankenflächen, auf denen die Gedanken frei und schwerkraftlos hin und her geschoben werden können, bis sich daraus eine neue Aussage entwickelt hat.

Dorothea Macheiner verschiebt nicht nur die Gattungen Reisebericht und Tagebuch ineinander, sie verknüpft auch die Welt früher Kultstätten auf Malta mit jener der Salzburger Altstadt, worin die Schwester Georg Trakls, Grete, teilweise wie ein Artefakt in Versuchs-Erscheinung tritt.

Die Kernessays „Bei gleichzeitigem Verschwinden“ und „Die Entschwundene“ werden jeweils von einem Gedicht eingeläutet, womit das Poetische und Subjektive der Aufsätze zum Vorschein gebracht wird. Der Malta-Aufsatz vom gleichzeitigen Verschwinden stellt eine innige Verbindung zwischen den erinnerten und ausgestellten Artefakten zur reisenden Ich-Erzählerin her.

Nach einem Anflug auf Malta mit einer Chi-Gong-Truppe reist die Erzählerin alleine, um im Vergleich zur kollektiven Wahrnehmung der Truppe zu testen, was für eine Einzelperson in den Vordergrund tritt. Je größer die Gottheiten, umso kleiner ihre Darstellung, heißt so eine Überlegung. Tatsächlich nähert sich die Erzählerin immer wieder diesen Knopfgroßen Figuren, die jetzt als Schmuckstücke für eine archaische Tracht in der Vitrine liegen.

Jeder Gang zur Vitrine wird von genauen Aufzeichnungen der Witterung, des Horizonts und der touristischen Atmosphäre begleitet. Die Erzählerin leistet sich ein eigenes Medium, das sie Sterndeuterin nennt, mit ihrer Hilfe kann sie transzendent in die ausgestellten Figuren schlüpfen. Während der Streifzüge in die Antike spricht der Mittelmeer-Raum der Gegenwart in einer spontanen Sprache des Arabischen Frühlings. Die Zeitgeschichte hat mit dem fernen Mythos zu tun, aber bei genauerem Hinsehen verlöscht diese Konkordanz sofort wieder.

Mit diesem Verschwinden hat auch die „Traklin“ zu tun, wie die Schwester Georg Trakls manchmal gegendert wird. Aus Briefen und literarischen Zeugnissen stellt sich die Erzählerin mit Hilfe der Sterndeuterin ein Bild von Grete Trakl zusammen, welches an die unmittelbare Biographie des essayistischen Ichs anknüpft.

In einer Nachreichung „Aus der Sprachwerkstatt“ wird das Verknüpfen, Überlagern und Auslöschen der Bilder in sich selbst vorgestellt. Neben einer dünnen Handschrift kommen ein paar thesenhafte Bemerkungen hervor.

Dieser geheimnisvolle Moment, indem sich die Gedanken, Vorstellungen in Worte kleiden wie ein Gewand, das gerade bereitliegt. […] Ich habe die Stummheit überwunden und das Gedachte zur Sprache gebracht. (135)

Dorothea Macheiner entwickelt in ihrem Essay eine Methode, geheimnisvollen Biographien, Mythen und Konstellationen auf den Grund zu gehen, sie neu zu heben, um dann dem Verfall und dem Verschwinden dieser neuen Sichtweise freien Lauf zu lassen.

Dorothea Macheiner, Bei gleichzeitigem Verschwinden. Zwei ineinander verschlungene Essays
Krems: Edition Roesner 2016, 142 Seiten, 23,90 €, ISBN 978-3-903059-15-3

 

Weiterführende Links:
Edition Roesner:
Wikipedia: Dorothea Macheiner

 

Helmuth Schönauer 14-11-2016

Bibliographie
AutorIn:
Dorothea Macheiner
Buchtitel:
Bei gleichzeitigem Verschwinden. Zwei ineinander verschlungene Essays
Erscheinungsort:
Krems
Erscheinungsjahr:
2016
Verlag:
Edition Roesner
Seitenzahl:
142
Preis in EUR:
23,90
ISBN:
978-3-903059-15-3
Kurzbiographie AutorIn:
Dorothea Macheiner, geb. 1943 in Linz, lebt in Salzburg und Wien.