Hellmuth Karasek, Auf Reisen

Vermutlich ist erlesen die schönste Form von erarbeiten. Wenn man sich dabei einen ganzen Landstrich und ein halbes Jahrhundert erarbeitet, fällt die Bilanz wie von selbst „erlesen“ aus.

Hellmuth Karasek bereist seit erdenklichen Zeiten Deutschland, zuerst aus journalistischen und dramaturgischen Gründen, später dann vor allem, um in diversen Talkshows und Jurys aufzutreten. Immer aber ist er unterwegs mit seinen Büchern, in denen es um den Film-Giganten Billy Wilder geht, um die Kunst des Witzes oder auch um das reife Seitenspringen älterer Dam- und Herrschaften.

„Auf Reisen“ dreht sich um das ständige berufliche Herumreisen eines Schriftsteller, der dabei die öffentlichen Verkehrsmittel benützt und dadurch das Land von einer innigen Seite kennenlernt. Eingerahmt ist dieser dienstliche Lebensbericht, der etwas von den Umtrieben eines Handlungsreisenden hat, von Signierstunden, in denen es vor allem darum geht, eine sinnige Widmung auf Befehl der Kundschaft in das Buch zu knallen.

Einen Schwerpunkt der Schilderungen stellen logischerweise auch die diversen Bahnstrecken dar, daran lässt sich auch bestens die Zeitgeschichte ablesen. Der Autor schildert mit nostalgischen Schlieren, wie er einst aus dem Osten in tagelangen Zug-Märschen von Schlesien nach Sachsen gelangt ist, später nach Stuttgart, schließlich ist Hamburg sein Lebenskopfbahnhof geworden, aus dem er zuerst in den Süden und nach dem Mauerfall wieder nach Ostern gefahren ist.

Die Kultur der Speisewagen, die völlige Unterzuckerung der Waggons, was die Toiletten betrifft, der äußere Hygiene-Schein bei starkem inneren Defäzieren, das macht vielleicht Deutschland aus.

Einen dritten Schwerpunkt neben dem Signieren und dem Reisen setzen die Hotels. Wie schläft man einsam und aufgekratzt ein, wie schlagen die Alpträume der Vorbenützer auf den Künstler durch, was geht beim Packen verloren, was lässt sich ersetzen?

Natürlich tritt auch das Publikum in Erscheinung, heftig, ausverkauft und euphorisch genauso, wie als verlorener Haufen, der der Witterung und entscheidenden Fußballübertragungen trotzt. Der Lohn für diese Mühen ist oft auch eine regionale Trink-Spezialität, wie man früher generell Spirituosen für geistige Einfälle hat springen lassen. So spendiert ein Witzesammler einmal eine Flasche Whisky für den Witz:

Was ist der Unterschied zwischen einem Epileptiker und einem Grießbrei? Der Grießbrei liegt in Zucker und Zimt. Der Epileptiker liegt im Zimmer und zuckt. (44)

Hellmuth Karasek erzählt von seinen Dienstreisen in Sachen Literatur mit einer Leichtigkeit, die sich auf das Publikum überträgt. Natürlich muss der Dichter gewisse Anstrengungen unternehmen, will der Abend gelingen, aber auch das Publikum muss sich anstrengen, außer Haus gehen und den Kopf aktivieren. – Eine sympathische Tour de Force quer durch das lesende Publikum eines Landes, das insgesamt gar nicht so witzlos ist, wie es manchmal tut.

Hellmuth Karasek, Auf Reisen. Wie ich mir Deutschland erlesen habe.
Hamburg: Hoffmann und Campe 2013. 190 Seiten. EUR 18,40. ISBN 978-3-455-50286-2.

 

Weiterführende Links:
Verlag Hoffmann und Campe: Hellmuth Karasek, Auf Reisen
Wikipedia: Hellmuth Karasek

 

Helmuth Schönauer, 09-07-2013

Bibliographie

AutorIn

Hellmuth Karasek

Buchtitel

Auf Reisen. Wie ich mir Deutschland erlesen habe

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Hoffmann und Campe

Seitenzahl

190

Preis in EUR

18,40

ISBN

978-3-455-50286-2

Kurzbiographie AutorIn

Hellmuth Karasek, geb. 1934 in Brünn, lebt in Hamburg.