Kurt Leutgeb, Humana fraus

Was wie eine neue Krankheit oder nach einem psychologischen Verfahren klingt, ist sinngemäß übersetzt „der menschliche Frevel“, der wohl schon seit Erfindung der Sprache im Umlauf ist. Fraus hat auch mit Täuschung, Betrug, Vorspiegelung falscher Tatsachen zu tun. Als Fraus-Fachleute gelten Defraudanten.

Kurt Leutgeb stellt seine Fraus-Erzählung als Gerücht und Überlieferung dar. In fünf Schritten wird von einer Seuche im Jahre 331 vor unserer Zeitrechnung (VuZ) berichtet, wonach hundertsiebzig Matronen mit Kräuterexperimenten die römische Oberschicht vergiftet haben und deshalb liquidiert werden müssen.

Die Erzählung ist in zwei Übertragungskanäle gespalten. Im oberen, der immer dünner wird, gibt es eine Darstellung, wie wir sie aus dem Lateinunterricht gewohnt sind. Titus Livius hat quasi für unsere Lesebücher die Geschichte aus der Sicht der Herrschenden erzählt, wie letztlich alle überlieferten Geschichten Herrschergeschichten sind.

Unterhalb dieser für gültig erachteten Geschichte ist ein Strang voller Gerüchte und Vermutungen ausgelegt. Dieser aber ist mindestens so wahrscheinlich wie die offizielle Darstellung. Dieser unterirdische Informationsfluss wird immer dichter, ehe er von den dafür zuständigen Politikern per Dekret mit einem Nagel ein für alle Mal aus der Welt geschafft wird.

Fakt ist auf jeden Fall, dass eine Seuche allerhand führende Köpfe dahingerafft hat. Jetzt gilt es, nach einer Logik des noch Unverständlichen zu suchen. Die nahe liegende Variante ist die göttliche Erklärung, was man nicht versteht, muss man glauben. Die Götter könnten also zürnen und als Opfer könnte man die Frauen nehmen, die ohnehin schon recht auffällige Gedanken verbreiten. - Die irdische Variante geht davon aus, dass etwas Politisches im Spiel ist, immerhin haben sich die Frauen in manchen Bereichen frei geschwommen und pflegen ein Geheimwissen mit Kräutern, vielleicht haben sie einen Giftanschlag auf dem Kerbholz.

Die Geschichte startet in beiden Varianten mit einer Anzeige durch eine Sklaven und endet mit der Hinrichtung der umtriebigen Frauen. Die Gesellschaft arbeitet dazwischen den Fall ab, es wird ein offizielles Narrativum gesucht, Gerichte tagen, die ersten Verdächtigen werden ausgehoben. In Schnell-Tests müssen ausgesuchte Beschuldigte ihren eigenen Kräutersud trinken und sterben.

Kurt Leutgeb schafft in seiner historischen Kräuterparabel Aufklärung durch Verunsicherung. Selbst beim besten Willen ist nicht feststellbar, was nun die Wahrheit ist. Handelt es sich um Frevelei, die den Göttern auf die Nerven geht, oder handfesten Betrug mit politischen Mitteln. Wenn man bedenkt, wie auch in der Gegenwart noch immer mit Seuchen, Gerüchten und Verschwörungstheorien umgegangen wird, erkennt man die erstaunliche Zeitlosigkeit dieser Seuchenerzählung aus dem Jahre 331.

Kurt Leutgeb, Humana fraus.
Klagenfurt: Sisyphus 2014, 81 Seiten, 7,00 €, ISBN 978-3-901960-90-1

 

Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Kurt Leutgeb, Humana fraus
Homepage: Kurt Leutgeb

 

Helmuth Schönauer, 07-07-2015

Bibliographie

AutorIn

Kurt Leutgeb

Buchtitel

Humana fraus

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Sisyphus Verlag

Seitenzahl

81

Preis in EUR

7,00

ISBN

978-3-901960-90-1

Kurzbiographie AutorIn

Kurt Leutgeb, geb. 1970 in Steyr, lebt in Wien.