Leena Parkkinen, Nach dir, Max

Immer wieder werden in der Literatur zeitgeschichtliche Epochen aus der Sicht eines Außenseiters erzählt, man denke nur an die berüchtigte Blechtrommel, wo im wahrsten Sinne des Wortes laut von unten erzählt wird.

Leene Parkkinen erzählt eine Zirkusgeschichte aus den goldenen Zwanziger Jahren, aber die Erzählfigur nimmt alles doppelt war. Es handelt sich um den Ich-Erzähler Isaak, der mit seinem Bruder Max an der Hüfte zusammengewachsen ist.

Das zusammengewachsene Brüderpaar wird um 1900 in Hamburg geboren und wundert sich, sobald es reden kann, dass es sich dabei um keine Hamburger sondern siamesische Zwillinge handelt. Überhaupt empfinden die Kinder das Leben zwar beschwerlich, weil sie alles zusammen erledigen müssen, aber auch wieder ziemlich normal, weil sie nichts anderes gewohnt sind.

Erst als sie von der Tante verkauft werden und in einem Zirkus landen, merken sie, dass sie etwas Besonderes sind, was sich die Menschen durchaus Einritt kosten lassen um die Gafferei zu stillen. Eine recht schroffe Madame bildet sie zu Varietee-Künstlern aus und nennt sie Max und Isaak, weil sie schon einmal ein Löwenpaar mit diesen Namen  trainiert hat.

In der Folge tanzen die beiden mit dem Zirkus durch ganz Europa und entgehen durch das permanente Herumziehen den wirtschaftlichen Problemen des Kontinents. Denn ein bisschen Geld für die Sensation lässt sich immer noch auftreiben.

In Helsinki kommt es zu einer herzergreifenden Liebesgeschichte, die naturgemäß immer zu dritt ablaufen muss. Als sich Max einmal kurz verheiratet, muss bei den erotischen Darbietungen mit seiner Frau immer eine Decke quer über das Bett gespannt werden.

Bei siamesischen Zwillingen sind Geheimnisse ein Luxus. Der andere ist die ganze Zeit da. Es ist Einsamkeit ohne Alleinsein. (39)

Offensichtlich ist der gesamte Kontinent um diese Zeit aus dem Häuschen, die grotesken Situationen laufen quer durch die Bevölkerung, zwischen Menschen mit Handicap und politisch auffälligen Figuren scheint kaum ein Unterschied zu bestehen. Paris, Petersburg, Helsinki: die Städte sind selbst zum Varietee geworden.

Nur durch Selbsterniedrigung ist man fähig, das Publikum zu beherrschen. (316)

In unheimlich vereinsamter Art stirbt eines Nachts der Bruder Max an der Seite des Erzählers. Dieser fühlt den Körper seines Kompagnons erkalten, während ihn das eigene Sterben heimsucht. – Ein seltener Fall der Erzähltechnik, wo ein Ich-Erzähler stirbt.

Leena Parkkinnens Roman ist durch die Perspektive völlig schamlos nach außen und intim nach innen. Ein Stück Europa wird herunter gebrochen auf diese täglichen Stunden der heftigsten Wahrnehmung. Während die Helden nach außen hin mit Charme ihr Schicksal zur Schau stellen, leiden sie im Innern an einer Einsamkeit, die wir Solo-Körper an manchen Tagen nur allzu gut kennen.

Leena Parkkinen, Nach dir, Max. Roman. A. d. Finn. von Gabriele Schrey-Vasara. [Orig.: Sinun jälkeesi Max, Helsinki 2009].
Berlin: Osburg 2012. 416 Seiten. EUR 22,50. ISBN 978-3-940731-76-0.

Weiterführender Link:
Osburg-Verlag: Leena Parkkinen, Nach dir, Max

 

Helmuth Schönauer, 11-05-2012

Bibliographie

AutorIn

Leena Parkkinen

Buchtitel

Nach dir, Max

Originaltitel

Sinun jälkeesi Max

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Osburg

Übersetzung

Gabriele Schrey-Vasara

Seitenzahl

416

Preis in EUR

22,50

ISBN

978-3-940731-76-0

Kurzbiographie AutorIn

Leena Parkkinen, geb. 1979, lebt in Turku.