Margarita Kinstner, Die Schmetterlingsfängerin

Oft fußt die Freiheit auf einer gelungenen Zeremonie der Befreiung. Wer frei ist, kann überall heimisch werden.

In Margarita Kinstners Roman „Die Schmetterlingsfängerin“ befreit sich zu Beginn ein Geschwisterpaar von sämtlichen Altlasten der Emotion, indem es den Kater Isidor würdig bestattet. Wer von einem Tier so gelungen Abschied nehmen kann, ist letztlich für alle Herausforderungen geeicht.

Beim Begräbnis eines Katers kommt man so ins Sinnieren, und so entsteht bald einmal eine Familiengeschichte, die sich am halben Kontinent entfaltet. Ständig hat jemand jemanden geheiratet und Kinder produziert, die vor allem eine Aufgabe hatten, in der neuen Welt der Angesiedelten Heimat entstehen zu lassen.

Jetzt ist die Ich-Erzählerin, eine Volksschullehrerin, ebenfalls dabei, der Geographie und den Chromosomen ein neues Gesicht zu geben. Sie ist schwanger und wird in ein paar Wochen nach Sarajevo ziehen, wo ihr Freund bereits eine Anstellung im Spital gefunden hat. Der Stadt Sarajevo trauen noch immer nicht alle über den Weg. Zu viele sind im Bosnienkrieg geflüchtet und können es sich nicht vorstellen, dass jemand in der nächsten Generation freiwillig dorthin zurückkehrt.

Tatsächlich geben auch die Einheimischen zu, dass das friedliche Zusammenleben oft nur für die Touristen gespielt wird und längst noch nicht wie früher ist. (152)

Auch sonst hat sich alles in Geschichten aufgespalten, alles wimmelt in Ermangelung der sinnstiftenden Geschichte von Begebenheiten und Geschichten.

Alle wollen schreiben, einen Film drehen und wissen nicht worüber. (204)

Die Erzählerin fürchtet sich nicht so sehr vor Sarajevo sondern vor dem Akt, die Sicherheitsseile zu kappen und wirklich dorthin zu gehen. Jetzt grast sie noch einmal die Verwandtschaft ab, der Vater ist berühmter Künstler gewesen, die Großmutter hat in einer Büchse Schmetterlinge aufbewahrt, die davon geflogen wären, hätte man sie geöffnet. Die Schmetterlingssammlerin sammelt etwas Unsichtbares wie Schrödingers Katze, wenn man nachschaut, ist es hin.

Jetzt wo alles erzählt ist, trägt die Erzählerin ihr ungeborenes Kind aus den Almwiesen dieses Sommers hinaus.

Heimat ist dort, wo du gerade bist. (212)

Margarita Kinstner erzählt ein Stück europäischer Familiengeschichte ein Stück weiter. Letztlich sind alle unterwegs, und gerade jene, die sich am Bodenständigsten gebärden, sind die Flüchtigsten. Das Kind wird von all den Zusammenhängen vorerst nichts merken und unbefangen in Sarajevo loslegen, gut betreut von einem transkontinentalen Liebespaar.

Ich laufe durch die kleine Stadt, bin Urenkelin, Enkelin und werdende Mutter. (70)

Margarita Kinstner, Die Schmetterlingsfängerin. Roman
Wien: Deuticke 2015, 284 Seiten, 20,50 €, ISBN 978-3-552-06294-8

 

Weiterführende Links:
Deuticke Verlag: Margarita Kinstner, Die Schmetterlingsfängerin
Homepage: Margarita Kinstner

 

Helmuth Schönauer, 23-12-2015

Bibliographie

AutorIn

Margarita Kinstner

Buchtitel

Die Schmetterlingsfängerin

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Deuticke Verlag

Seitenzahl

284

Preis in EUR

20,50

ISBN

978-3-552-06294-8

Kurzbiographie AutorIn

Margarita Kinstner, geb. 1976 in Wien, lebt in Wien.