Michail Gorbatschow, Das neue Russland

„Das Interesse an meinem Buch [„Alles zu seiner Zeit“, Anm. A.M.-H.] hat mich tief berührt. Deshalb habe ich beschlossen, das Zwiegespräch mit den Menschen fortzusetzen und zu erzählen, was ich in den Jahren nach meinem Rücktritt vom Amt des Präsidenten erlebt habe.“ (11)

Während das Vorwort den Inhalt des Buches richtig ankündigt, nämlich als biographische Erinnerung Michail Gorbatschows an die Zeit seit seinem Rücktritt, erweckt der Langtitel den irrigen Eindruck, Insiderwissen über das System Putin zu erhalten, ein Versprechen das nicht eingelöst wird. Dennoch bieten die Erinnerungen und Einschätzungen des großen russischen Politikers, der für das Ende des kalten Krieges und der Sowjetunion verantwortlich gewesen ist, zur vergangenen und aktuellen politischen Lage durchaus interessante Aspekte.

Wer sich vom Buch erhofft hat eine wissenschaftliche und neutrale Analyse der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in Russland während der letzten 20 Jahre zu erhalten, wird vielleicht enttäuscht sein. Gorbatschow stellt nämlich vor allem seine Tätigkeit, seine Gedanken und Reaktionen auf die politischen Ereignisse in Russland in den Mittelpunkt. Diese untermauert er mit einer Unmenge an Zeitungsartikeln, Interviews, Kommentaren und Briefen die er veröffentlicht hat und die ihn selbst als politischen Akteur während dieser Zeit darstellen, wenn auch nicht mehr als Akteur der ersten Reihe.

Und genau in dieser Schwäche der Darstellung liegt vielleicht auch deren Stärke, wenn die Leserinnen und Leser die Unmittelbarkeit der Reaktionen und Stellungnahme erleben, die nicht durch einen zeitlichen Abstand, in einem objektiven Licht erscheinen, sondern die autobiographische Betroffenheit miterleben lassen. Dabei beeindruckt der ehemalige Präsident der Sowjetunion durchaus durch ein meist ausgewogenes und faires Urteil gegenüber den politischen Protagonisten der Nach-Gorbatschow-Ära. Nur für seinen unmittelbaren Nachfolger Boris Jelzin kann sein historisches Urteil keine Gnade finden. Hier sitzt die persönliche Kränkung denn doch zu tief.

Gorbatschow unterteilt seine Darstellung in drei große Abschnitte: Teil I – Post-Perestroika von 1991 – 1999, Teil II – Quo Vadis, Russland? der die Anfänge der Ära Putin bis hin zu Rochade des Präsidentenamts mit Dmitri Medwedew umfasst und Teil III – Die beunruhigende Welt – in der sich der letzte sowjetische Präsident mit dem Weltproblemen der jüngeren Vergangenheit beschäftigt.

Auch wenn sich Gorbatschows Auseinandersetzung mit Russland und der Welt weniger als objektive Sachinformationen über das System Putins erweisen, so geben sie doch interessante Einblicke in russische Machtstrukturen und politische Verhältnisse in einem Land, das sich in der postsowjetischen Ära auf den Weg zu einer Demokratisierung der Gesellschaft gemacht hat und irgendwo vom Weg abgekommen zu sein scheint. Neben Russland stellt sich Michail Gorbatschow aber immer auch selbst in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Betrachtungen, was das interessante Buch als eine Mischung aus Sachbuch und Autobiographie erscheinen lässt.

Michail Gorbatschow, Das neue Russland. Der Umbruch und das System Putin, übers. v. Boris Reitschuster [Orig. Titel: Posle Kremlja]
Köln: Quadriga Verlag 2015, 559 Seiten, 25,70 €, ISBN 978-3-86995-082-2

 

Weiterführende Links:
Quadriga Verlag: Michail Gorbatschow, Das neue Russland
Wikipedia: Michail Gorbatschow

 

Andreas Markt-Huter, 18-05-2016

Bibliographie

AutorIn

Michail Gorbatschow

Buchtitel

as neue Russland. Der Umbruch und das System Putin

Originaltitel

Posle Kremlja

Erscheinungsort

Köln

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Quadriga Verlag

Übersetzung

Boris Reitschuster

Seitenzahl

559

Preis in EUR

25,70

ISBN

978-3-86995-082-2

Kurzbiographie AutorIn

Michail Sergejewitsch Gorbatschow wurde in Priwolnoje, Stawropol in Russland geboren. Er ist ein russischer Politiker, Staatsmann, ehemaliger Präsident der Sowjetunion (1990–1991) und Träger des Friedensnobelpreises 1990.