Peter Henkel, Schluss mit Luther
„Seit der Aufklärung vor rund zweihundertfünfzig Jahren blieb noch jedes Luther-Jubiläum hinter ihr zurück. Nicht nur wegen des geradezu hysterischen Teufelsglaubens, dem der gläubig-abergläubische Professor huldigte und der bei diesen Feiern wohlweislich beschwiegen worden sein dürfte, wie so manches andere, was das Loben und Feiern hätte stören können.“ (24)
Als eine der wenigen Ausnahmen zu den zahlreichen Biographien über den deutschen Reformatoren, in denen die Bilanz über Luthers Leben und Wirken, trotz aller Kritik, durchwegs positiv ausfällt, steht Peter Henkel Luther äußerst kritisch gegenüber und lenkt dabei den Blick auf die zahlreichen menschlichen und theologischen Ungereimtheiten und Abgründe des Reformators. Ebenso verweist er anhand zahlreicher Beispiele, wie sehr in der Forschung aber auch im religiösen Alltag, die Schattenseiten Luthers verdrängt oder zumindest verharmlost werden.
Luthers Denken und Lehren hat im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Anpassungen und Umdeutungen erfahren. Viele zentrale Fragen, wie die Prädestinationslehre, werden in den gegenwärtigen Betrachtungen gerne unter den Teppich gekehrt, da sie der heutigen Vorstellung von Gerechtigkeit im Wege stehen. Aber auch Luthers Umgang mit Andersdenkenden und Gegnern, seine ordinären und wüsten Beschimpfungen und Verdammungen, die er selbst gegen hochangesehene Humanisten gerichtet hatte, wurden weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen, um das Bild des bewunderten Reformators nicht zu beschmutzen.
„Wer den Erasmus zerdrückt, der würget eine Wanze, und diese stinkt noch tot mehr als lebendig.“ (8)
Nicht weniger befremdlich lesen sich seine Hetzreden gegen die Juden und Bauern, die im Laufe der Geschichte nicht ohne Folgen geblieben sind, wie auch der 30-jährige Krieg als Folge der Glaubensspaltung einhundert Jahre später seine zahlreichen Opfer gefordert hat.
Peter Henkel zeichnet ein Bild des Reformators, das seinen Blick nicht von den zahlreichen Ungereimtheiten, aber auch Widersprüche und Bosheiten in seinem Leben, Denken und Handeln abwendet. Dabei kommt die zentrale Rolle des Teufels und eines unbeeinflussbaren Gottes in Luthers Theologie ebenso zur Sprache, wie dessen psychische und körperliche Verfassung, die sein Denken und Handeln nicht unerheblich beeinflusst haben dürften.
Neben der Auseinandersetzung mit dem Leben, dem Handeln und den Lehren Luthers verliert Henkel aber nicht die Rezeption Luthers aus dem Auge, die in den meisten Fällen danach strebt, das Bild Luthers als großen deutschen Nationalhelden nicht anzukratzen und die negativen Seiten seiner Biographie fernzuhalten.
„Schluss mit Luther“ bietet in Hinblick auf die zahlreichen Luther-Biographien anlässlich der 500-Jahr-Jubiläums einen wohltuend kritischen Blick auf die zahlreichen Schattenseiten des deutschen Reformators, ohne der üblichen Versuchung zu verfallen, diese zu relativieren oder zu Verharmlosen.
Ein überaus spannend zu lesendes, informatives Sachbuch, das verständlich lesbar ein Stück Religions- und Rezeptionsgeschichte näherbringt und zum kritischen Denken auch gegenüber großen religiösen Autoritäten aufruft.
Peter Henkel, Schluss mit Luther. Von den Irrwegen eines Radikalen
Baden-Baden: Tectum-Verlag 2017, 198 Seiten, 18,95 €, ISBN 978-3-8288-3958-8
Weiterführende Links:
Tectum-Verlag: Peter Henkel, Schluss mit Luther
Wikipedia: Peter Henkel
Andreas Markt-Huter, 06-10-2017