Rolf Hosfeld, Tod in der Wüste

„Henry Morgenthau, der amerikanische Botschafter in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, telegrafierte am Abend des 31. Juli 1915 an das State Department in Washington: «Dr. Lepsius (…) hat aus verlässlicher Quelle erfahren, dass Armenier, zumeist Frauen und Kinder, deportiert aus dem Erzurum-Gebiet nahe Kemah zwischen Erzincan und Harput massakriert worden sind.»“ (7)

Der Völkermord an den Armeniern, dem der österreichische Schriftsteller mit seinem monumentalen Werk „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ jährt sich bereits zum 100. mal und immer noch sorgt das Verbrechen für diplomatische Spannungen zwischen der Türkei und anderen Ländern. Der Kulturhistoriker Rolf Hosfeld zeichnet in seinem Buch „Tod in der Wüste“ akribisch das Umfeld, die Vorgeschichte und die Umsetzung des Völkermordes zwischen 1915 bis 1916 nach, bei dem mehr als 1,5 Millionen Menschen auf grausame Weise um ihr Leben gekommen sind.

Rolf Hosfelds Darstellung beginnt mit dem im Sommer 1916 erschienenen 300 Seiten umfassenden Bericht von Johannes Lepsius, dem Vorsitzenden der Deutsch-Armenischen Gesellschaft, über die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei, in dem Lepsius präzise die Zeitabläufe und regionalen Ereignisse wiedergibt sowie genaue Statistiken und ausführliche Analysen für die Ursachen des Völkermordes veröffentlicht hat. Allein die Veröffentlichung dieses Berichts Mitten im 1. Weltkrieg stellte für Lepsius einen Akt großer Zivilcourage dar, war doch niemand an einer öffentlichen Anprangerung eines Kriegsverbündeten interessiert.

Bereits 1896 hatte Lepsius in seinem Bericht „Armenien und Europa“ über die Massaker an den Armeniern zwischen 1894 – 1896 veröffentlicht, bei denen bereits mehr als 100.000 Menschen ihr Leben und ca. eine halbe Millionen Menschen durch Verwüstungen ihre Lebensgrundlage verloren haben.

In zehn Kapiteln wird aufgezeigt, wie sich die Politik des Osmanischen Reiches gegenüber den christlichen Armeniern immer stärker radikalisiert und schließlich mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs an ihren Höhepunkt gelangt. Anhand zahlreicher Beispiele und Augenzeugenberichten entsteht ein Bild über die geplante Vernichtung der Armenier durch die Zentralregierung, das gepaart wird mit regional geleiteten Exzessen in den Gebieten der Armenier. Dabei erschrickt die Unverblümtheit, mit der türkische Machthaber ihre Mordpläne vor europäischen Politikern und Diplomaten verteidigt haben, ohne von Seiten der deutschen und österreichischen Verbündeten ernsthaft gehindert worden zu sein.

Für Adolf Hitler sollte der Völkermord an den Armeniern zum Vorbild für seinen geplanten Genozid an den Juden werden, als er im August 1939 auf einer Geheimrede vor dem Überfall auf Polen erklärte: „Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier“.

Rolf Hosfeld bietet neben der Schilderung der zahlreichen Verbrechen einen strukturierten Überblick über den Verlauf des Genozids an den Armeniern und zeigt auf, das dieser von der osmanischen Regierung gezielt und genau geplant und mit unerbittlicher Grausamkeit durchgeführt worden war. Unverständlich erscheint es, dass es den hauptverantwortlichen Politikern für den Völkermord Mehmet Talaat, Ismail Enver und anderen nach dem 1. Weltkrieg mit Hilfe eines deutschen Torpedobootes gelang nach Deutschland zu fliehen. Auf der anderen Seite kommt es in der Türkei zu Prozessen und Anklagen wegen der Verbrechen an den Armeniern, aber erst 1948 wurde von der Vollversammlung der UNO eine „Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Genozids“ angenommen.

100 Jahre nach dem Völkermord an den Armeniern rückt Rolf Hosfelds überaus engagierte und empfehlenswerte Geschichtsdarstellung das Schicksal der Armenier gekonnt in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Ein informatives Sachbuch, das viel Licht in die immer noch mit Spannungen getragene Auseinandersetzung über ein schreckliches Verbrechen in der menschlichen Geschichte bringt.

Rolf Hosfeld, Tod in der Wüste. Der Völkermord an den Armeniern, mit 18 Abb. und 1 Karte
München: C.H. Beck Verlag 2015, 288 Seiten, 25,70 €, ISBN 978-3-406-67451-8

 

Weiterführende Links:
C.H. Beck Verlag: Rolf Hosfeld, Tod in der Wüste
Wikipedia: Rolf Hosfeld

 

Andreas Markt-Huter, 05-08-2016

Bibliographie

AutorIn

Rolf Hosfeld

Buchtitel

od in der Wüste. Der Völkermord an den Armeniern

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

C. H. Beck Verlag

Seitenzahl

288

Preis in EUR

25,70

ISBN

978-3-406-67451-8

Kurzbiographie AutorIn

Rolf Hosfeld ist Kulturhistoriker und wissenschaftlicher Leiter des Lepsiushauses in Potsdam. Sein Buch Operation Nemesis (2005) über die Türkei, Deutschland und den Völkermord an den Armeniern ist stark beachtet worden.