Siroos Mirzaei, Irdische Träume vom Paradies

Der Sinn des Paradieses besteht darin, dass man es sich nicht vorstellen kann und darf. Sobald man ein Bild davon hat, ist es kein Paradies mehr. Dennoch muss das Paradies für diverse Religionen und politische Strömungen als ultimatives Ziel herhalten, man denke nur an diese fatale Märtyrer-Legende mit den tausend Jungfrauen.

Siroos Mirzaei, selbst mit allerhand radikalen Strömungen im Iran vertraut gemacht, nimmt in seinem Roman das Paradies in die Erzähl-Hand, um damit ein Stück iranische Gegenwartsgeschichte zu erzählen.

Eine gewisse Shokufeh, was so viel wie Blüte heißt, ist dabei, im Paradies heimisch zu werden. Das Paradies nämlich muss man sich durch Bildung erarbeiten und hat absolut nichts mit Laissez-Faire zu tun. Zum einen wird in der paradiesischen Gegenwart nach einem passablen Rahmenprogramm die Zeit verwaltet mit Unterhaltung, Gesprächen und Weiterbildung, andererseits wird in Traum-Ausflügen das ehemals irdische Leben in Erinnerung gerufen und als Fundament für die paradiesische Lebenskultur genommen.

Dabei liegt vieles im Dunklen, die Erzählerin weiß oft nur kleine Ausschnitte.

Ich glaube nicht, dass ich bei vollem Bewusstsein hier ankam. (7)

Im Paradies gibt es folglich keine Uhren im engeren Sinne, aber ein perfektes Zeitgefühl, das für alle Planungen und Erinnerungen ausreicht.

Leibspeisen, alte Freunde und Rituale kommen der Heldin bei ihren systematischen Traumsitzungen immer konkreter ins Bewusstsein, sie erträgt auch immer irdischere und brutalere Sequenzen. Tatsächlich braucht es einen starken Magen, um die politischen Zustände des Iranischen Gottesstaates auch in der Erinnerung zu ertragen.

Die Ich-Erzählerin wird mit einem iranischen Studenten, der gerade in den USA studiert, zwangsverheiratet, sie unterminiert diese Zwangsehe mit einer Liebschaft, die dann auch sexuell entgleist. Von den Glaubenswächtern gefoltert und verschleppt führt man sie der Steinigung zu, die sich nicht einmal vom Jenseits aus begreifen lässt. Der erdige Geschmack der Steinigung hält auch im Paradies noch ewig an.

Soroos Mirzaei gestaltet mit dem Kunstgriff einer überirdischen Spiegelung einen heftigen politischen Roman, der gerade durch diese genaue Poesie an politischer Schärfe nichts zu wünschen übrig lässt. Die persische Lyrik etwa wird zwischendurch als Abruf aus dem Internet dargestellt, für den Leser bietet sich dadurch die Gelegenheit, über den Poesie-Link gleich weiter im Netz zu recherchieren. Das Paradies als Reflexion der aktuellen Zustände lässt sich für alle Helden, Leserinnen und Gesellschaften verwirklichen. Ein paradiesisches Erzählkonzept!

Siroos Mirzaei, Irdische Träume vom Paradies. Roman.
Innsbruck: TAK 2012. 108 Seiten. EUR 19,-. ISBN 978-3-900888-53-4.

 

Weiterführender Link:
TAK: Siroos Mirzaei, Irdische Träume vom Paradies

 

Helmuth Schönauer, 18-06-2013

Bibliographie

AutorIn

Siroos Mirzaei

Buchtitel

Irdische Träume vom Paradies

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

TAK-Verlag

Seitenzahl

108

Preis in EUR

19,00

ISBN

978-3-900888-53-4

Kurzbiographie AutorIn

Siroos Mirzaei, geb. 1963 in Mashhad/Iran, ist Arzt in Wien.