ben miller, der junge, der die welt verschwinden ließ„Geschichten handeln oft von guten Menschen, die etwas Schlechtes tun, und diese Geschichte ist keine Ausnahme. Der Held unserer Geschichte heißt Harrison, und das mit dem »Helden« meine ich tatsächlich ernst. Denn bevor es losgeht, will ich unbedingt eines klarstellen: Harrison hatte ein großes Herz.“ (S. 7)

Harrison ist ein liebenswerter Junge, der sich Gedanken über den Regenwald macht, seiner Mutter Frühstück ans Bett bringt und sein Spielzeug mit seiner kleinen Schwester teilt. Dabei hat er es in der Schule nicht leicht, obwohl er zu allen Kindern nett ist, weil der gemeine Fiesling Hector Broom es ganz speziell auf ihn abgesehen hat und keine Gelegenheit ungenützt lässt, Harrison zu mobben.

robert menasse, die erweiterungDer sogenannte Europa-Roman ist gleich zweimal definiert. Einmal als Roman, der sich um das politische Europa der Gegenwart kümmert, das seinen Sitz wie frühere Pfalzen überall am Kontinent hat, und zum zweiten als literarisches Genre.

Der Europaroman ist ein auf DIN-A-Brüssel geeichtes Textkonglomerat, das mit austauschbaren Elementen von jeder Übersetzungsmaschine in alle Sprachen der Mitgliedsländer leicht übersetzt werden kann.

julia donaldson, die rüpelbande„Der Troll, der Geist und die schreckliche Hex, / die waren so richtig gemein. / Sie baten um nichts und bedankten sich nie / und hatten drei Herzen aus Stein. / Sie waren gehässige Rüpel, die Hexe, der Geist und der Troll. / So widerlich rüpelig, schlimmer sogar: / Sie fanden das unheimlich toll!“

Drei schlimme und doch recht ungleiche Bösewichte schließen sich zusammen, um ihre Umgebung in Angst und Schrecken zu versetzen. Alle geraten in Panik und Angst und nichts scheint vor ihnen sicher zu sein, bis eines Tages ein kleines Mädchen auftaucht.

regina hilber, super songs delightBist du ein Verschließungs- oder ein Erschließungsgedicht? – Gedichte vertragen es durchaus, wenn man sie in einem witzigen Ton etwas fragt, ähnlich wie man sich bei Kindern nach dem Lieblingsspielzeug erkundigt.

Regina Hilbers Gedichte sind natürlich beides: verschlossen und erschlossen. Sie haben einen Zug zur hermetischen Lyrik, indem sie etwa exklusive poetische Gegenden aufsuchen, deren geographische Verortung man erst recherchieren muss, oder mit Begriffen hantieren, die selbst im Altgriechischen nur selten vorgekommen sind.

ursula poznanski, die verschworenen„Ein Windstoß fegt über die brüchige Mauer hinweg, die mein notdürftiges Versteck bildet. Quirin, der mehr Verständnis für Neugierde hat als jeder andere Mensch, den ich kenne, hat mir den Platz zugewiesen und verlässt sich darauf, dass ich stillhalte. Er weiß, dass ich weiß, wie wichtig es ist, unbemerkt zu bleiben. Offiziell bin ich, ist meine ganze Gruppe längst nicht mehr hier, sondern nach Westen weitergezogen.“ (S. 8)

Eleria, Aureljo, Tycho, Dantorian und Tomma nehmen Quirins Angebot an, nach Flemings Ermordung in seiner Stadt unter der Stadt zu leben. Fleming hat sich vor seinem Tod geweigert, für die Exekutoren nach Jordans Chronik zu suchen. Eleria vermutet, dass angebliche Verschwörung im Zusammenhang mit dem Buch stehen muss. Ihr gelingt es in Quirins Bibliothek ein paar Seiten aus Jordans Chronik zu entdecken.

christian meier, die politische kunst der griechischen tragödie„Die griechischen Tragödien waren für die attischen Bürger bestimmt. Nicht für ein spezielles Theaterpublikum, sondern für die ganze Bürgerschaft der mächtigsten Stadt jener Welt. […] Es ist unbestreitbar, dass die attische Bürgerschaft im fünften Jahrhundert von ganz außerordentlicher Beschaffenheit war und sich in einer ganz außergewöhnlichen Lage befand. Zum ersten Mal in der Weltgeschichte war es dazu gekommen, daß die breiten Schichten der Bürgerschaft regelmäßige, kräftige Mitsprache und schließlich den entscheidenden Anteil an der Politik erlangten.“ (S. 7)

Christian Meier geht in seiner historischen Monographie der Entstehung und Festigung der ersten Demokratie der Weltgeschichte in Athen im 5. Jahrhundert v. Chr. nach und zeigt die Bedeutung der klassischen griechischen Tragödien dieser Zeit für die Selbstreflexion eines politischen Systems, das so neu war und sich abseits der gewohnten Pfade bewegte, dass es auf keine Vorbilder als Referenz verweisen konnte.

frida nilsson, sem und mo im land der lindwürmer„Ich habe einen kleinen Bruder. Mortimer heißt er und er ist acht Jahre alt. Er hat weißblonde Haare und blaue Augen und in einer Wange ein Grübchen. Er ist das Beste, was es gibt, finde ich. Ich habe ihn einfach unglaublich lieb. Manchmal nervt er mich natürlich, aber ich liebe ihn trotzdem. Ich selbst heiße Samuel. Ich bin elf und habe dunkle Haare und sehe wohl ziemlich gewöhnlich aus, würde ich sagen.“

Der elfjährige Sem und sein achtjähriger Bruder Mo leben seit dem Tod ihrer Eltern im Waisenhaus, bis sie eines Tages von Tante Tyra abgeholt werden. Doch die anfängliche Hoffnung, dass ihr Leben bei ihrer Tante endlich besser wird, erfüllt sich nicht. Ihr freundliches Lachen am ersten Tag verschwindet und schon am nächsten Tag werden die Kinder gezwungen, für sie Geschirr aus Silber zu polieren.

mircea cartarescu, melancoliaEs gibt rare Wörter, die eine Epoche, eine Kindheit, einen Kontinent oder eine Kunstrichtung beschreiben können. Melancholie ist das bekannteste davon.

„Melancolia“ war einst im kalten Krieg ein Begriff, der den Künstlern „hinter dem Vorhang“ (wir hielten uns damals als davor angesiedelt) einen gewissen politischen Spielraum gab, in einer kollektivierten Gesellschaft ein privates Gefühl auszudrücken. Zwar gehörte auch die Psyche der Öffentlichkeit, aber die Melancholie konnte privat bleiben, sie galt als das intimste Gefühl eines Individuums.

muntaha al-robaiy, layla aus dem zauberwald„Jede Reise beginnt mit einem kleinen ersten Schritt. Du musst dich nur trauen und loslaufen. Und wie so viele Reisen beginnt auch meine Reise, die eines kleinen Mädchens, ganz unverhofft an einem scheinbar ganz normalen Tag. Mein Name ist Layla. Und wie heißt du?“ (S. 5)

Layla spricht die Sprache der Menschen und Tiere und lebt ohne Eltern in einem kleinen Häuschen im Wald. Ihre Freunde sind die Tiere und Pflanzen, die sich jeden Abend vor dem Schlafengehen unter der alten Eiche vor ihrem Häuschen versammeln. Die Magie des alten Baumes schützt den Wald vor den Menschen, die sich benehmen, als würde ihnen die Welt gehören. Eines Tages bittet Windflug, die weise Eule, Layla zwischen den Menschen, denen gar nicht bewusst ist, wie sehr sie der Natur schaden, und Tieren zu vermitteln.

isabella breier, grapefruits oder vom großen gartenEinem Klumpen Lehm gleich wird der sogenannte Konzeptroman den Lesern auf einer Töpferscheibe angeboten, die sich beim Lesen zu drehen beginnt, sodass daraus ein persönlicher Golem geformt werden kann.

Isabella Breier nennt ihr Buch „Vom großen Ganzen“ eine Groteske und serviert diese unter dem rätselhaften Titel „Grapefruits“. Schon beim ersten Aufschlagen des „Romans“ stellt sich dieses animierende Gefühl ein, dass man sich den Text erarbeiten muss. Im besten Fall dreht sich die Töpferscheibe und beim ersten Zupacken mit beiden Händen lässt sich ein großes Dreieck der Erkenntnis herauslesen.