Christoph Wilhelm Aigner, Eigenleben oder wie schreibe ich eine Novelle

Was macht man in einem fremden Land, wenn man keinen dezidierten Arbeitsauftrag hat? Man schießt jede Menge Fotos, spaziert so oft es geht an den Strand und schaut Pizzabäckern und Kellnern bei der Arbeit zu.

In Christoph Wilhelm Aigners Prosatext hat sich ein beobachtendes und schreibendes Ich selbständig gemacht und geht eigene Wege. Zudem fotografiert es ohne Auftrag, die Polaroids werden wie von selbst mit einem Kommentar versehen. Einige dieser Polaroids sind im Anhang des Textes beigefügt. Darauf sieht man verfremdete Motive, wie einen Geparden-Jäger, der eine Schafherde zusammentreibt, einen aufgeschlitzten Marsmenschen, der als Überbleibsel des Tourismus am Strand liegt, oder einen Fisch, der grinsend an Land gegangen ist und den Untertitel auslöst: „Zuerst hatten wir geglaubt, es sei Korsika.'

So wie die Polaroids durch ihre Zufälligkeit allmählich eine Geschichte erzählen, so erzählen die einzelnen Wahrnehmungsepisoden mit der Zeit einen Ablauf von Empfindungen, der sich vielleicht eines Tages zu einer Novelle auswachsen kann. Denn was ist eine Novelle schon anderes als Stoff um den sogenannten „Falken' herum versammelt.

Dem erzählenden Ich entgleitet schließlich alles. Nicht der Erzähler vermag ein selbstständiges Leben zu führen, es ist vielmehr der Text, der ein Eigenleben an den Tag legt.
Für den aufschreibenden Beobachter ergibt sich daraus so manche Beobachtungs- und Sprachkrise.

Gerade fällt mir ein, dass man den Satz ‚gerade fällt mir ein‘ sehr vermeiden soll. (33)

Aus der Fügung Alter Ego haben sich zwei novellenhafte Figuren abgespalten, die als Alter und Jünger auftreten. Manchmal gehen sie wie ein Touristenpärchen durch die Landschaft, die für diesen Zweck artig und aufgeräumt ist, manchmal kommentieren sie eine Szenerie mit einem so genannten Meta-Satz, sie geben schlicht den Senf zu einem Sachverhalt ab.

Es scheint, jetzt bin ich bereits so kindisch wie Alter und Jünger zusammen; bloß Novelle, Novelle, das hat was: ich könnte ja die klassische Struktur einer Novelle zum Thema für eine Novelle machen. Nein? Jah! Oh ja. Die Novelle selbst ist das Falkenmotiv. (24)

Mit der Vorgabe, aus dem angesammelten Stoff eine Novelle zu basteln, lässt sich auch der Aufenthalt in dieser fremden Gegend durchaus aushalten. Kunst kann offensichtlich erträglich sein, wenn man ihr eine Aufgabe gibt.

Christoph Wilhelm Aigner erzählt sehr hintersinnig und zweideutig, was nach künstlicher Erregung ausschaut, ist vielleicht das wahre Motiv, was nach einem Merksatz klingt, verschwindet noch mitten im Absatz. - Ein vergnügliches Erzählen über Bilder, die sich selbst auslösen und anschließend selbst auslöschen.

Christoph Wilhelm Aigner, Eigenleben oder wie schreibe ich eine Novelle
Innsbruck: Edition Laurin bei innsbruck university press iup 2011, 150 Seiten, 18,90 €, ISBN 978-3-902719-90-4

 

Weiterführende Links:
Edition Laurin: Christoph Wilhelm Aigner, Eigenleben oder wie schreibe ich eine Novelle
Wikipedia: Christoph Wilhelm Aigner

 

Helmuth Schönauer, 14-04-2011

 

 


 

Bibliographie

AutorIn

Christoph Wilhelm Aigner

Buchtitel

Eigenleben oder wie schreibe ich eine Novelle

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Edition Laurin

Seitenzahl

150

Preis in EUR

18,90

ISBN

978-3-902719-90-4

Kurzbiographie AutorIn

Christoph Wilhelm Aigner, geb. 1954 in Wels, lebt in Salzburg.