Florjan Lipus, Bostjans Flug

In der Poesie gilt der Flug als ein eigener Zustand zwischen Wirklichkeit und Traum, weshalb  gerade in der Lyrik oft der Vogelflug als Verbindung zwischen diesen Erlebnissen eingesetzt ist.

Florian Lipus nennt seinen Roman einen Flug, Bostjans Flug, in dem der Held in einem Trance-haften und traumatisierten Zustand durch die Gezeiten gejagt wird.

Dabei ist Bostjan ein stiller Mensch, voller Beobachtung und Musikalität gegenüber der Umgebung. Er hat die Fähigkeit, einen Weg nicht bloß abzuschreiten sondern ihn auch aufzusaugen, „wenn er träumte, er sei in Wirklichkeit und nicht nur im Traum durch die Lüfte nach Hause geflogen.“ (26)

Eine Kindheit oder Jugend hat nie eine Handlung sondern hinterlässt in der Erinnerung Schlieren, worin die Ereignisse als Gräuel, stumpfes Gefühl oder ohnmächtiges Getrieben-Sein eingeprägt sind.

Bostjan steht unter Schock, wenn er an das kleine Haus denkt, aus dem die Mutter vom Herd weg verhaftet und in den Markt getrieben wird. Noch tagelang suchen sie die Kinder, aber sie ist offensichtlich in ein Lager verschickt worden und bleibt verschwunden.

Der Vater hingegen kommt nach dem Krieg heim und heiratet unerwartet eine Frau, er hat bei der Wehrmacht gekämpft und auf seine eigenen Leute geschossen. Sein neues Haus wird niemandem eine Heimat, Bostjan treibt es immer wieder zum Heimathaus, das als Geröll in sich zusammenfällt und zugrunde geht, wie der ganze Landstrich.

Der ganze Graben hat die Gebäude von den Hängen geworfen und sich der Wiesen und Felder entledigt. (31)

Bezeichnenderweise ist immer vom Graben die Rede, der Geburtsgraben, aus dem man in die Welt hineingespült wird, die Heimat als Schützengraben, der seine Bewohner ausspuckt.

Die ärmliche Landbevölkerung tut sich das nicht mehr an, vergisst alle Erniedrigungen und geht in die Ebene oder in die nächstbeste Stadt, wo plötzlich die Frauen wieder zu Menschen werden, nachdem sie im Graben verhüllt und gedemütigt durchs Gebüsch gerast sind.

Diese Wege aus der Kindheit in die Jugend hinein sind auch die einzige Möglichkeit, Lina, die Geliebte, zu sehen, denn in den Dörfern gibt es keine Begegnung. „Die Sonntage kamen und gingen, nichts Brauchbares wollte sich einstellen.“ (11)

Florjan Lipus erzählt mit dichtester Naturbeschreibung außen vom Innenleben des Bostjan, der die Kindheit als einen Zustand nehmen muss, „als das Frühjahr auf den Überresten des Winters herbstete.“ (60)

Im Nachwort erzählt Peter Handke von Aufruhr und Liebe, die Lipus und ihm schon stumme Themen im Internat gewesen sind, als sie dort wortlos und ein paar Jahre auseinander ihre Zeit absolviert haben.

Florjan Lipus, Bostjans Flug. Roman. A. d. Slowen. von Johann Strutz. Nachwort von Peter Handke. Abbildungen. [Orig.: Bostjanov let, 2003].
Berlin: Suhrkamp 2012. (= BS 1470). 166 Seiten. EUR 20,60. ISBN 978-3-518-22470-0.

Weiterführende Links: Florjan Lipus
Suhrkamp-Verlag: Florjan Lipus, Bostjans Flug
Wikipedia: Florjan Lipus, Bostjans Flug

 

Helmuth Schönauer, 02-01-2013

Bibliographie

AutorIn

Florjan Lipus

Buchtitel

Bostjans Flug

Originaltitel

Bostjanov let

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Suhrkamp-Verlag

Übersetzung

Johann Strutz

Seitenzahl

166

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-518-22470-0

Kurzbiographie AutorIn

Florjan Lipus, geb. 1937 in Kärnten, lebt in Sele/Sielach.