Martin Kolozs, Der Ruf. Der Fall. Der Ekel

Der literaturgeschliffene Blick wird hinter der Begriffskette „Ruf-Fall-Ekel“ gleich ein Stück Literaturgeschichte aus den 1940er und 1950er Jahren erkennen. Die kulturpolitische Zeitschrift „Der Ruf“ versammelte rund um Alfred Andersch die verstümmelten Dichter nach dem Zweiten Weltkrieg, „Der Fall“ (1956) von Albert Camus zeigt anhand eines Absturzes des Helden die Zerbrechlichkeit einer Utopie, und Jean-Paul Sartres „Der Ekel“ (1938) gilt überhaupt als das Hauptwerk des Existentialismus.

Martin Kolozs baut in seinen Erzählungen immer darauf, dass der Leser schon einmal längs und quer durch die Literaturgeschichte geritten ist, um die Anspielungen, Verwerfungen und Korrekturen in den Mustern der Helden erschließen zu können. Seine Erzählungen sind oft Folien, die leicht versetzt auf angelesene Vorlagen gesetzt sind, um einen gewissen literarischen 3-D-Effekt zu erreichen.

Als singuläre Erzählungen widmen sich Ruf, Fall und Ekel jenen Wendepunkten von Lebensentwürfen, an denen sich für die Helden Entscheidendes abspielt.
Im Ruf ereilt den Helden ein sogenannter „theologischer Tinnitus“. Während eines Dates mit einer Zugeh-Frau implodiert ihm das Gehör und er lässt sich statt ins Bett in die Klinik bringen. Nach diversen Untersuchungen stellt sich heraus, dass der Klient eine Art Galaxie im Gehör hat und genau genommen die Sterne hört. Dem Helden hilft das nicht viel, er wird vielleicht doch noch wahnsinnig, auch wenn die Stimme etwas Schönes schreit: Ich bin da.

Im Fall schnappt ein Schriftsteller beim Schreiben einer Biographie über. Obwohl er ein gewiefter Biograph ist, kriegt er das Leben des Peter Sellers nicht auf die Reihe und aufs Papier. Dabei hat er kluge Sätze vor sich aufgereiht, die aber weder ihm noch dem Dargestellten helfen.

Seltener, als man sich vorstellt, wer man sein möchte, möchte man sich vorstellen, wer man ist. (47)

Der Biograph bildet sich ein, dass er sich die Identität operativ habe entfernen lassen. So gesehen entleert sitzt er immer noch falschen Bildern auf und wird sich aus dem Fenster stürzen, freier Fall ist angesagt.

Im Ekel entgleitet dem Helden die Harmonie der Erotik. Als alter Mann löst er mit seinen Auftritten und Anmachen Ekel aus, während ihm selbst das Sexuelle zuwider wird. Einerseits hängt er seiner verstorbenen Frau nach, andererseits versucht er sie über Arrangements mit Prostituierten neu zu installieren. Vielleicht kann nur ein Pistolenabgang Marke Kleist die Lage retten, indem er seine Kunstgeliebte und sich selbst erschießt. Aber auch das gelingt nicht, vielleicht erschießen ihn die Bullen, wenn er sie bedroht.

Martin Kolozs Helden sind kunstvoll zerrissen aufgebaut. Während sie der Leser vor seinen Augen irgendwie zusammenleimt, gehen sie endgültig in die Brüche. Ein anspruchsvolles Verfahren, durch Dekonstruktion ins Innere der Helden zu gelangen, die an der entscheidenden Stelle meist leer sind.

Martin Kolozs, Der Ruf - Der Fall - Der Ekel. Erzählungen.
Weitra: Bibliothek der Provinz 2014. 104 Seiten. EUR 13,-. ISBN 978-3-99028-241-0.

 

Weiterführende Links:
Bibliothek der Provinz: Martin Kolozs, Der Ruf - Der Fall - Der Ekel
Wikipedia: Martin Kolozs

 

Helmuth Schönauer, 03-09-2014

Bibliographie

AutorIn

Martin Kolozs

Buchtitel

Der Ruf - Der Fall - Der Ekel

Erscheinungsort

Weitra

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Bibliothek der Provinz

Seitenzahl

104

Preis in EUR

13,00

ISBN

978-3-99028-241-0

Kurzbiographie AutorIn

Martin Kolozs, geb. 1978 in Graz, lebt in Innsbruck und Wien.