Michael Krüger, Himmelfarb

Scheinbar unverfängliche Themen machen explosionsartig auf und zeigen eine Riesenwunde der Zeitgeschichte, wenn man sie mit vorsichtigem Erzählbesteck serviert.

Michael Krüger hat es im Laufe seines literarischen Wirkens immer wieder zu erzählerischen Tretminen hinan gezogen, in deren Nähe höchste Explosionsgefahr besteht. Eines dieser Kapitel nennt sich deutsche Völkerkunde in Brasilien. Deutsche Ethnologen sind meist in den Dschungel gegangen, um etwas zu vertuschen, und haben bei ihrer Rückkehr in die Zivilisation von erfreulichen Forschungsergebnissen gesprochen.

Im Roman Himmelfarb geht der Ich-Erzähler als Stipendiat des Dritten Reiches in den brasilianischen Dschungel, um die indigene Bevölkerung rassentauglich zu vermessen. Seinen jüdischen Begleiter Himmelfarb hält er sich in erpresserischem Sicherheitsabstand und lässt ihn die Arbeit machen. Als das Ende des Naziregimes absehbar ist, schnappt er sich während eines Fieberanfalls seines Kompagnons dessen Aufzeichnungen und kehrt nach Deutschland zurück. Dort bringt er es zu akademisch-literarischen Würden, vor allem die Aufzeichnungen aus dem Dschungel machen Furore, zumal der jüdische Verfasser verschwiegen wird. Der Erzähler hat sich die Arbeit einfach unter den Nagel gerissen.

Anlässlich der Gratulationspost zum achtzigsten Geburtstag taucht plötzlich ein Brief aus Haifa auf, Himmelblau ist noch am Leben und beklagt sich bitterlich, dass ihm Arbeit und Name gestohlen worden sei. Aber noch lebt er, „er sei weder auf die eine (deutsche) oder andere (natürliche) Art gestorben.“ (90)

Der Erzähler macht daraufhin Tabula rasa, er verkauft sein Haus am englischen Garten in München, seine Bibliothek, und ist plötzlich schweinereich und ohne eigene Persönlichkeit zugleich. Er macht ein Treffen mit Himmelfarb auf Korfu aus, aber dieser erscheint nicht. Es ist kurz vor High-noon auf Korfu und dem Erzähler bleiben noch ein paar Sätze, um die diesmal eigenen Notizen zu vollenden. Das letzte Wort bleibt eine Leerstelle.

Michael Krüger erzählt von den Abgründen, die in den Tiefen des scheinbar glatten Abenteuerromans lauern. Nicht nur dass sich die Nazitragödie bis in die entlegenste Welt und zwischen Überlebens-Freunde hineingeschoben hat, auch der Umgang mit indigenen Bewohnern, die Anfälligkeit der Volkskunde für Rassismus, die Verschleierungen in der akademischen Welt brechen von Kapitel zu Kapitel heftiger auf. Und als Orientierungsfaden ist der Ablauf der Zeit ausgelegt, Versöhnung und Abklärung lassen sich eben nicht auf das Jenseits verschieben. Das große gefeierte Schlitzohr kriegt im Roman vielleicht doch noch die Kurve, wiewohl das letzte Wort fehlt. Das muss sich der Leser nach Stand der eigenen Aufklärung hinzudenken, vielleicht heißt es Verzeihung, Gnade oder aber auch Arschloch.

Michael Krüger, Himmelfarb. Roman. Mit einem aktuellen Nachwort des Autors. [Orig.: Residenz, Salzburg 1993]
Innsbruck: Haymon 2016 ( = TB 97), 174 Seiten, 9,90 €, ISBN 978-3-7099-7840-5

 

Weiterführende Links:
Haymon Verlag: Michael Krüger, Himmelfarb
Wikipedia: Michael Krüger

 

Helmuth Schönauer, 27-02-2016

Bibliographie

AutorIn

Michael Krüger

Buchtitel

Himmelfarb

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Haymon Verlag

Seitenzahl

174

Preis in EUR

9,90

ISBN

978-3-7099-7840-5

Kurzbiographie AutorIn

Michael Krüger, geb. 1943 in Wittgendorf, lebt in München.