Rüdiger Görner, Nausikaa oder Die gefrorenen Wellen

Nausikaa ist in der griechischen Mythologie eine einheimische Frau, die am Ufer gierig wartet, dass ein Flüchtling angeschwemmt und ihr Lover wird.

Rüdiger Görner zeigt in seinem Roman „Nausikaa“ ein Liebespaar, das allen Kriegsvorbereitungen zum Trotz ein intellektuell unterlegtes Leben führen will und dann doch nicht mit sich und der Zeit zurechtkommt.

Florence ist angesehene Modedesignerin im England der 1930er Jahre. Obwohl sich die Gesellschaft auf eine Auseinandersetzung mit Hitler-Deutschland vorbereitet und Krieg in der Luft liegt, gibt sie ihren Entwürfen einen fröhlichen Touch mit zivilem Tuch. Sie weigert sich beispielsweise mit Khaki im Uniformstil zu arbeiten.

Jean durchlebt dieses Jahrzehnt als jüdischer Gymnasiast am Bodensee, die ersten Aufwallungen der braunen Soße schwappen bereits an Land und er entscheidet sich, zum Studieren nach London zu gehen.

Wie im griechischen Mythos treffen die beiden aufeinander und durchleben mit sich selbst und dem Zeitgeist eine aufregende Zeit. Denn England ist an manchen Tagen very british und versucht politisch und künstlerisch, auch als geschrumpftes Commonwealth den Weltgeist zu entwickeln.

Im Establishment Englands knistert es, wenn man genau hinhört, aber die gepflegte Form und das bürgerliche Ritual lassen die Gesellschaft glatt wie in einem Film erscheinen.

Für Florence ist es durchaus ein Befreiungsversuch, aus der Konvention auszubrechen und sich trotz Verlobung mit einem Banker auf den jüdischen Studenten Jean einzulassen, der vielleicht gar Schriftsteller wird.

Als beeindruckendes Bild dieses Verhältnisses können die Mumien angesehen werden, die im Museum ausgestellt eine offizielle Geschichte erzählen, von denen man aber nicht weiß, welche Kultur in ihnen schlummert. Florence versucht die alte Geschichte für sich zu deuten und die Mythen auszulesen, als sie an einem Strand liegt, fühlt sie sich als Nausikaa, die auf den fremden Geliebten wartet.

Wie bei den Königskindern ist der Graben der Zeit zu tief, und das Liebespaar kann nicht zueinander finden. Florence stirbt, und Jean wird für ein Befreiungskorps in Palästina zwangsrekrutiert, ehe er dann doch der Psychiatrie übergeben wird.
Rüdiger Görner, Fachmann für Literatur der Zwischenkriegszeit, hat sich für seinen Roman einen sehr langsamen und den Alltag veredelnden Erzählstil zurechtgelegt.

Die Figuren gehen behutsam miteinander um und entwickeln die Gedanken mit intellektuell ausladenden Bewegungen. „Verluste, Symptome“ (55) ist eine markante Szene überschrieben, wo im Sinne eines statischen Gemäldes die Zeit eingefroren wird zu „gefrorenen Wellen“. – Subtile Erzählkunst voller Symbole und Anspielungen.

Rüdiger Görner, Nausikaa oder Die gefrorenen Wellen. Roman
Wien: Sonderzahl 2015, 271 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-3-85449-432-4

Weiterführender Link:
Sonderzahl Verlag: Rüdiger Görner, Nausikaa oder Die gefrorenen Wellen
Wikipedia: Rüdiger Görner

Rüdiger Görner, geb. 1957 in Rottweil, lebt in London.

Helmuth Schönauer, 08-02-2016

Bibliographie

AutorIn

Rüdiger Görner

Buchtitel

Nausikaa oder Die gefrorenen Wellen

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Sonderzahl Verlag

Seitenzahl

271

Preis in EUR

22,00

ISBN

978-3-85449-432-4

Kurzbiographie AutorIn

Rüdiger Görner, geb. 1957 in Rottweil, lebt in London.