Rainer Juriatti, Lachdiebe

Üblicherweise leiden in der Literatur die Helden unter der Zeit, sie werden von ihr aufgefressen, verstoßen oder zur Strecke gebracht.

In Rainer Juriattis Roman „Lachdiebe“ freilich ist es umgekehrt. Da geht der Held so forsch mit seiner Umgebung um, dass sogar die Zeit abhaut. „So floh die Zeit“ heißt jeweils der letzte Satz eines Kapitels.

Die Welt dreht sich um einen Fotografen, der einen Auftrag annimmt, in Graz als Journalist und Bildbearbeiter zu arbeiten. Sein bisheriges Familienleben gilt als gescheitert, seine Kinder kann er nur sporadisch wie einen Bildbericht sehen.

Überhaupt dreht sich beim Helden alles um Wahrnehmung, Bilder, Retuschieren, Vergrößern, Bearbeiten. Die Wahrnehmung der Welt geschieht offensichtlich nach ähnlichen Mustern, wie man ein Bild aufnimmt.

So ist der Journalist auf sinnlosen Vernissagen mit dem gleichen Verve bei der Sache wie er am nächsten Tag ein Massaker oder eine Massenkarambolage bearbeitet. Als Mann freilich leidet er vielleicht unter dem erotischen Touch eines Sacher-Masoch, der ja als geheimer Patron von Graz gilt.

Die Frauenbekanntschaften spielen sich meist auf bezahlter Ebene in einem Hotel ab, prinzipiell redet der Fotograf nur von Frauenkörpern, die er fallweise begrapscht oder wegretuschiert. „Du warst ein wertvoller Kilometer auf meinem Weg, lass es gut sein“, heißt so eine Begegnungsfloskel. (92)

Zwischen den einzelnen Lichtblitzen des Daseins wird durchgesoffen, der Held fühlt sich totgeschlafen zwischen den Abenden, in knallharten Alkohollücken wittert er tief erfahrene Nichtsminuten. (110) Dennoch gibt er für sich die Parole aus: „Ein Mensch der alleine ist, hat Antworten zu haben auf sich selbst.“ (129)
Leitmotivisch taucht täglich ein Obdachloser auf, der gute Sprüche verkauft, wenn man Geld in seinen Hut schmeißt. Von ihm ist auch der Titel des Romans, Lachdiebe, das ist letztlich nichts anderes als eine Wortwandlung für die Werbeindustrie.

Da der Held in hellen Pausen immer wieder liest, fallen auch ständig poetische Sätze. „Trauer ist wie ein Acker im Regen.“ (107) Als der Held am Schluss einen Selbstmord-Abschiedsbrief an seine Ex-Frau schickt, hält diese den Brief für ein Stück Literatur, worauf der Suizid zurückgestellt wird.

Rainer Juriatti erzählt sagenhaft „männlich“ von einem Helden, der aus den Fugen geraten ist. Zwischen Hilflosigkeit, Aggression und kühlem Masochismus wird keine Unterscheidung zwischen Bild und Realität gemacht. Vielleicht ist längst alles zu einem Account geworden, den man von Zeit zu Zeit löschen muss, vielleicht muss man sich als Held auch selbst löschen. - Grandioses Sittenbild über Helden in der virtuell aufgegeilten Gesellschaft!

Rainer Juriatti, Lachdiebe. Roman.
Innsbruck: Limbus 2012. 162 Seiten. EUR 17,90. ISBN 978-3-902534-60-6.

 

Weiterführende Links:
Limbus-Verlag: Rainer Juriatti, Lachdiebe
Wikipedia: Rainer Juriatti

 

Helmuth Schönauer, 22-11-2012

Bibliographie

Erscheinungsjahr

2012

Kurzbiographie AutorIn

Rainer Juriatti, geb. 1964 in Bludenz, lebt in Graz.