Rainer Wieczorek, Freie Hand

Manche Berufe sind so rar und von der üblichen Arbeitswelt entlegen, dass allein ein beruflich angelegtes Journal bereits zu einem Roman ausartet. Während es Literaturhäuser wie Sand am Meer gibt, ist der sogenannte Literaturhaus-Roman etwas Seltenes geblieben.

Rainer Wieczorek erzählt mit der majestätischen Wir-Form vom Gründen, Umbauen und Etablieren eines Literaturhauses. Während einer kurzen Schifffahrt auf einem sinnlichen Binnenkanal entsteht die Idee, aus einer ehemaligen Isolierstation aus dem Jahre 1915 für Darmstadt ein Literaturhaus zu formen.

Wichtigste Ressource ist dabei die „freie Hand“, das heißt die beiden Literaturhaus-Manager müssen alles so hin biegen, dass sie gegenüber der Öffentlichen Hand und den Mäzenen freie Hand haben. Das bedeutet großen Erklärungsaufwand, denn man muss dabei das dargebotene Programm als das einzig logische und wahre darstellen. Dabei entstehen verräterisch klare Sätze.

Der Nationalsozialismus und sein Fortwirken in der  Gegenwart sollte eine Hauptlinie in unserem Programm werden. (23)

Gemeint ist natürlich die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Literatur, aber für ein Ansuchen ist die Nazi-Form offensichtlich immer noch günstig.

Einer der beiden Literaturhaus-Bosse ist im Hauptberuf Sternendeuter beim Rundfunk, täglich analysiert er das Gestirn und formuliert daraus erbauliche Geschichten und Einsichten im Funk. Und mit der Zeit stellt sich immer klarer heraus, dass die Gestirne und die Literatur ähnlich funktionieren, wenn man einmal ihre Bahn oder ihren Schmäh heraus hat, lassen sie sich magisch einfach deuten und in Dienst stellen. „Irgendwann kippt es dann!“ (85) Dieser Satz ist sowohl in der Sternen-Physik als auch in der Literatur gültig.

Manche Poeten werden wie Sterne dargestellt, so ist etwa Peter Rosei unverwechselbar und man erkennt ihn nach drei Sätzen als Unikat.

Auch wenn sie manchmal so tut: Kunst richtet sich nicht nach dem Publikum. (101)

Zwischen Starkult und Information, Entdeckung von Entlegenem und Befeuerung durch den Main-Stream versuchen die Protagonisten ein sinnliches Programm für jenes Haus zu gestalten, das sie ZwölfElf genannt haben.

Neben Gesprächsfetzen und echten Fetzen, die von einem Dichtergespräch anderntags übrig bleiben, etablieren sich auch recht logische Kulturtheorien. So ist der Free Jazz an seine Grenze gekommen, was immer man noch ausprobiert, es ist schon ausgequetscht.

Und die Literatur verschwindet an manchen Tagen wie ein Gestirn im Schwarzen Loch, das in diesem Fall aus der Überzahl aus gedruckten Buchstaben besteht.

Was wir aus diesem Grunde brauchten, seien Dunkelkammern, in deren Innenraum über die Zeit hinweg wieder der Wunsch nach einem Bild reifen könne.“ (121)

Freie Hand ist eine kluge Überlegung, den Literaturbetrieb als Abenteuerspielplatz für Helden mit egomanischem Konzept zu begreifen.

Rainer Wieczorek, Freie Hand. Roman.
Berlin: Dittrich 2012. 157 Seiten. EUR 17,80. ISBN 978-3-937717-83-8.

 

Weiterführende Links:
Dittrich-Verlag: Rainer Wieczorek, Freie Hand
Wikipedia: Rainer Wieczorek

 

Helmuth Schönauer, 02-01-2013

 

Bibliographie

AutorIn

Rainer Wieczorek

Buchtitel

Freie Hand

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Dittrich-Verlag

Seitenzahl

157

Preis in EUR

17,80

ISBN

978-3-937717-83-8

Kurzbiographie AutorIn

Rainer Wieczorek, geb. 1956 in Darmstadt, 2010 zu Gast auf dem internationalen Literaturfestival Sprachsalz in Hall/Tirol, lebt in Darmstadt.