Walter Grond, Mein Tagtraum Triest

Ein guter Tagtraum hat den Vorteil, dass man in ihn phasenweise selbst intellektuell eingreifen kann, um das plastisch-phantastische eines Volltraumes ein wenig zu strukturieren. Die Methode des Tagtraums eignet sich daher in der Literatur vorzüglich zum Darstellen realer Sachverhalte mit einem Schuss Unwahrscheinlichkeit.

Walter Grond lässt in seinem Roman einen Erzähler die Stadt Triest wie in einem Tagtraum erleben. Als Handlung ist eine Familien-Struktur im Ambiente des Großvaters angelegt, wobei sich Gerüchte, mündliche Überlieferung und Stammbaum-Theorie überlagern.

Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts lässt sich Großvater, der Ingenieur Liborius Zeemann, in Triest nieder, um letztlich die Monarchie am Leben zu erhalten, indem er bis dahin unbekannt gute Schiffe baut. Das wuselige Treiben in Triest ist einerseits in Geschichtsbüchern dokumentiert, andererseits durch verschüttete Erzählungen.

So bastelt sich der Erzähler ein persönliches Bild über Triest zusammen, indem er sich zwischendurch voll in Träume flüchtet, dann aber wieder das handfeste Material der Wirklichkeit sichtet.

Vielleicht ist Großvater James Joyce begegnet, der damals Österreich als Barbaren-Land empfunden hat. Vielleicht ist der Großvater in den Sog des nervösen Zeitalters geraten, das damals das Aufkommen der Psychoanalyse bewirkt hat. Vielleicht ist Großvater auch auf einem unbekannten Foto, denn im Triest der Jahrhundertwende wurde so gut wie alles fotographisch dokumentiert.

Aus diesen Fragestellungen entwickelt der Erzähler ein Sittenbild der Stadt. „In diesem Schmelztiegel wurde Unverdauliches so lange gekaut, bis es bekömmlich wurde.“ (121) Die Italienische Bevölkerung hat die Österreicher knallhart als Gnocci bezeichnet, was diese aber offensichtlich nicht verstanden haben.

Immer wieder wird der Tagtraum von der Biographie des Erzählers unterbrochen, sein Bild von Italien ist von großer Sympathie getragen, die immer wieder neu hochgeladen werden muss. So empfindet sich der junge Erzähler als Hemingway, der Italien als das ideale Land für seine Abenteuer sieht, und der spätere Italien-Liebhaber richtet sich an italienischen Fußballstars auf, die er oft alleine in seiner Clique liebt.

Die Familiengeschichte wird in rasanten Sprüngen in die Gegenwart herauf erzählt, vom Großvater bleibt quasi als Mahnmal für die Monarchie ein Grabstein mit dem berühmten A.E.I.O.U. Die Familiengeschichte entwickelt sich zu einem kleinen Ausriss der verflossenen Monarchie, dargestellt in einer verflossenen Stadt, deren Aussprache bis heute nicht geklärt ist, betont man Triest nun auf der ersten oder zweiten Silbe?

Walter Gronds luzider Familienroman ist eine Hommage an eine einzigartige Stadt, die an sich ein einziger Tagtraum ist. Während man ihrem Treiben zusieht, tauchen verklungene Zeiten auf, während man narkotisiert im Gedränge der Gegenwart steckt, tun sich überall die Schleusen der Vergangenheit auf und Geschichte schwappt über den Besucher. – Der Tagtraum erweist sich als kluge Methode, Fiktion und Fakten zu einem genauen Stück Sehnsucht zu verbinden.

Walter Grond, Mein Tagtraum Triest. Roman.
Innsbruck: Haymon 2012. 176 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-7099-7003-4.

 

Weiterführende Links:
Haymon-Verlag: Walter Grond, Mein Tagtraum Triest
Wikipedia: Walter Grond

 

Helmuth Schönauer, 25-09-2012

Bibliographie

AutorIn

Walter Grond

Buchtitel

Mein Tagtraum Triest

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Haymon-Verlag

Seitenzahl

176

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-7099-7003-4

Kurzbiographie AutorIn

Walter Grond, geb. 1957 in Leoben, lebt in Melk.