Gabriele Bösch, Der geometrische Himmel

Buch-CoverNirgendwo lässt sich die Geschichte so genau beschreiben wie im Familienkreis. Selbst die großen weltbewegenden Vorgänge wirken manchmal wie ein Durchblättern eines Familienalbums.

In Gabriele Böschs Erzählung stellt eine so genannte Dutzendfamilie die Zeitgeschichte der Sechziger- und Siebzigerjahre dar. Magische Jahreszahlen tauchen als Kapitelüberschriften auf, 1948, 1958, 1979 etwa, und man merkt gleich, dass diese herausgepickten Jahre nicht immer mit den großen Ereignissen in der Welt etwas zu tun haben. Es sind persönliche Fransen, wo ein Familienmitglied vielleicht etwas Poetisches, Elementares oder auch nur bemerkenswert Alltägliches erlebt hat.

Die Familie ist wie in einem Bilderbuch aufgestellt, Vater, Mutter, Sohn und Tochter, dazu noch ein paar Zutaten wie Verwandte und seltsame Bekannte. Den Erzählpart übernimmt der Sohn, der sich ständig ein eigenes Bild von der Welt macht. Manchmal verläuft das Leben tapfer im Jahreskreis, manchmal entgleisen auch so manche Feste. So kriegen beispielsweise die kleinen Kinder der Ortschaft einen ordentlichen Schreck, als die größeren Kinder die Wahrheit über die Krampusse verkünden. Diese sind in Wirklichkeit ziemlich angesoffene Kerle, die nur so vor Biederlichkeit und Gewöhnlichkeit strotzen. Und auch der Nikolaus ist nicht ohne, denn er ist eigentlich ein Türke, zumindest der Original-Nikolaus war ein solcher.

Die Kinder kennen sich aus mit der türkischen Heiligengeschichte, denn eines Abends sind echte Türken in das Haus der Familie eingezogen. Vater hat offensichtlich aus finanzieller Notheraus einen Teil des Hauses vermietet, und die Gäste stellen sich als die ersten Gastarbeiter des Landes heraus. Der Erzähler kommentiert diesen türkischen Kulturaustausch ziemlich subjektiv, in seiner kindlichen Perspektive darf er manchmal Dinge denken, die bei Erwachsenen als politisch unkorrekt gelten würden.

Das ist das Geheimnisvolle dieser Erzählung. Einerseits dürfen die Kinder jeweils ungeschminkt die Wahrheit sagen, andererseits wissen wir Leser um die poetische Verklärungskraft dieser Erinnerungsstücke. Die Zeit bleibt immer easy und fröhlich, obwohl dahinter natürlich der ernste Alltag das Gerüst des Textes darstellt.

Jedem Kapitel ist im Singsang eines Ringelreihe-Spiels ein kleines Gedicht vorgesetzt, wie man es früher gerne in Poesiealben geklebt hat. Dabei spielt der Himmel immer eine tragende Bedeutung, denn er wölbt sich verlässlich authentisch über jede Situation.

Für den Titel der Erzählung kommt offensichtlich das berühmte Geodreieck zum Tragen. Ein Kind schaut natürlich über dessen Skala in den Himmel und siehe, dieser wird tatsächlich geometrisch. (98)

Gabriele Bösch, Der geometrische Himmel. Erzählung.
Innsbruck: Skarabaeus 2007. 141 Seiten. 16,90 EUR. ISBN 978-3-7082-3228-7.

 

Weiterführende Links:
Skarabaeus-Verlag: Gabriele Bösch, Der geometrische Himmel

 

Helmuth Schönauer, 19-09-2007

Bibliographie

AutorIn

Gabriele Bösch

Buchtitel

Der geometrische Himmel

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Skarabaeus

Seitenzahl

141

Preis in EUR

16,90

ISBN

978-3-7082-3228-7

Kurzbiographie AutorIn

Gabriele Bösch, geb. 1964 in Koblach / Vorarlberg, lebt in Hohenems.