Sepp Mall, Wo ist dein Haus
Scharfe Gedichte sind immer doppelbödig, was scheinbar in einer glatten Schale verpackt ist, stellt sich beim Verzehr oft als stacheliger Kern der Zeitlosigkeit heraus.
Sepp Mall nennt seinen neuen Gedichtband Wo ist dein Haus. Hinter dieser harmlosen Frage, die in den alpenländischen Talschaften gerne gestellt wird, wenn man jemandem ein Quartier zuweisen will, steckt aber auch die lauernde Frage zwischen den Generationen: Warum hast du noch kein Haus gebaut, wo ist dein Haus?
Um diesen jäh aufflackernden Lebenssinn zwischen den Zeilen des Alltags geht es in den Gedichten, die zusammengefasst sind in die Zyklen: Stand der Dinge; Lichtwechsel; Jahrestage; Frühe Spiele, Wo ist dein Haus; Auf leeren Feldern.
Oft ist das lyrische Ich mit nichts als sich selbst unterwegs in einer abgeernteten Landschaft, in einem abgekarteten Spiel oder in einer verlorenen Situation. Vielleicht taucht noch ein Haus auf im Nebel (9), heißt es einmal recht hoffnungsfroh, aber auch wenn nichts mehr auftaucht, ist die Lage nicht hoffnungslos, vielleicht ruft noch jemand meinen Namen.
Die Gedichte sind auf das Notwendigste zusammengeschnitten wie Sträucher nach dem Herbstschnitt. Natur, Vergangenheit, spärliche Lichtfunken aus der Kindheit bilden meist die Szenerie, die Zivilisation und deren Bürokratie kommen nur ächzend an die äußersten Ecken ihrer Reichweite. So wird vielleicht noch juristisch über die Richtigkeit eines Zaunes gestritten, da ist dieser schon längst während des Verfahrens in sich zusammengefallen.
Die Welt versickert in leeren Gegenden, aber sie geht nicht verloren. In innigen Skizzen eines Schülerheftes beispielsweise wird die Adria plötzlich konkret und vorstellbar. Der Blick auf die geographischen Schraffuren in so einer Zeichnung ist zudem noch gefiltert durch die verdichteten Jahre, die sich in die Erinnerung schieben. Von Gedicht zu Gedicht rückt alles nach draußen an die Peripherie der Wahrnehmung.
WEITER DRAUSSEN / In der Gischt fransen die Wörter aus / wie Wolken / im lichten April / und der Wind | treibt / Musik von den Häusern her / Stücke aus zerbrechendem Glas / Hier | kannst du mich berühren / (sagst du) / im Niemandsland / im Gestrüpp | zwischen den Jahren (65)
Scheinbar logisch wie der leicht ausgesprochene Text aus einer Erinnerungsschatulle laufen die Gedichte Sepp Malls ab, wenn sie vorgetragen werden. Aber in Wirklichkeit liegen schwere Schweißnähte zwischen den Satzpartikeln, die Stimme wird durch Klammern und Verklammerungen abgeschwächt, es lässt sich nur schwer feststellen, wer überhaupt spricht. Im Gehör des Lesers sind plötzlich die Sätze eingetroffen, die niemand gesprochen hat. Das ist diese wunderbare Handreichung Sepp Malls: Er spricht mit den Lesern, indem er ihnen aus einer längst verschütteten Seele spricht.
Sepp Mall, Wo ist dein Haus. Gedichte.
Innsbruck: Haymon 2007. 71 Seiten. 13,90. EUR. ISBN 978-3-85218-544-6.
Weiterführende Links:
Homepage: Sepp Mall
Haymon-Verlag: Sepp Mall, Wo ist dein Haus