Alois Hotschnig, Im Sitzen läuft es sich besser davon
Ein Sprichwort, so hat es den Anschein, soll eine innere Wahrheit ausdrücken und immer richtig sein. Das ist genau der Punkt, wo Alois Hotschnig mit seinen Texten einsetzt.
Wenn etwas klar ist, schreibt er so hartnäckig, bis es wirklich klar ist, wenn etwas unangenehm ist, schafft er den letzten Schliff, bis es kracht, wenn etwas grotesk erscheint, dann gibt es die erzählerische Krönung dazu.
Im aktuellen Buch nimmt Alois Hotschnig eine sprichwörtliche Selbstverständlichkeit zum Anlass, um in fünf Erzählungen das Gegenteil von allen Faustregeln zu beweisen, nämlich dass es sich im Sitzen besser davon läuft.
Dabei spielt der Buchtitel ganz hämisch auf eine Grundeigenschaft der österreichischen Politik an, darin tritt nämlich niemand zurück, sondern durch Aussitzen laufen die Verantwortlichen ihren verbockten Settings davon.
Ganz in Habsburgermanier heißt in der Eingangserzählung der Hund Karl (7). Dieser Hund ist mindestens ein Mensch, wenn nicht gar ein Kaiser. Er bringt den ganzen Stadtteil zum Rasen, als erotische Erscheinung im Freien, Feind des Briefträgers und vierbeiniges Kind seiner verblödeten Menscheneltern bestimmt er den Kurs. Auf Hunde-Niveau lässt sich die Welt vielleicht begreifen, und in einem Gemeinwesen, das ohne Logik auskommt, hat die Hunde-Psyche immer die Schnauze um eine Länge vorne.
Die großen Mahlzeiten (29) nennt sich ein Alltagsbankett, bei dem es um Stunden geht. Die Beteiligten nehmen die Arznei als Heilmittel und die Gebrauchsanweisung wörtlich. Was dabei herauskommt ist ein Sketch der Demenz, worin es durch gebetsförmiges Anrufen der Stunden zu einem skurrilen Tagesablauf kommt. Jede Stunde ein Medikament, dann muss sich ja einmal der Sinn einstellen.
Etwas verändert sich (41) spielt in einem geschlossenen Ambiente. Lautsprecherdurchsagen, Call-Centers oder eine einfache Grinseziege am Empfang wünschen ununterbrochen einen guten Tag und das entsprechende Datum. Also einen Achtundzwanzigsten des Monats gut zu verbringen, ist schon ein grandioser Wunsch! Während nach außen hin alles roger ist, verändert sich im Innern was. Personal wird ausgetauscht, Neue sind da, nichts ist mehr wie gestern.
Anhand einer Speisekarte lässt sich oft ein fernes Land erkunden. Die kleineren Reisen (65) handeln freilich vom genügsamen Gaumen, der zwischen Spinat, Spiegelei und Salat einen Empfindungskosmos aufzubauen versucht.
Wir wissen, was kommt, nur wann es kommt, wissen wir nicht. Im Heim kommt alles nach der Uhr. (67)
Besorgungen für den Tag (95) geht von einer gelungenen Welt aus, wie sie in alten Kinderbüchern dargestellt ist. Dabei sind heuer die Vögel früher gekommen und von Mund zu Hund ist ungesund. Beim Abzischen der Erinnerung verzerren sich auch die Bilder von einst und grinsen als denaturierter Screen in die Breite.
Ausziehen ja, anziehen auch (103), in einer Ordination geht alles seine Wege, die einen ziehen sich an, die anderen aus, irgendwer ruft die Namen zwischen den Kleidungsstücken auf. Es ist ein Mühsal, krank zu sein, der Körper muss ständig an und ausgezogen werden, wer da an Erotik denkt, ist vielleicht ein Fall für die Ordination.
Alois Hotschnig erzählt schroff, mehrdeutig, irritierend fröhlich. Die brutalste Alltagssequenz erlöst er mit Groteske, dem dementen öffentlichen Bewusstseinsstrom nimmt er die Schärfe durch Gelassenheit. Was witzig ist und was Politik - es spielt im Textstrom keine Rolle. Diese gut abgehangene Erzählform macht die Leser kirre, denn Witz ist Welt und Wut ist Wahnsinn. Die Auflösung der Grundbefindlichkeiten, das ist das geheime Thema dieser Erzählungen. Wie ist das Buch? - Am sechzehnten nach dem Spinat wird es sich entscheiden!
Alois Hotschnig, Im Sitzen läuft es sich besser davon. Erzählungen.
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2009. 140 Seiten. EUR 16,90. ISBN 3-462-04137-8.
Weiterführende Links:
Verlag Kiepenheuer & Witsch: Alois Hotschnig, Im Sitzen läuft es sich besser davon
Wikipedia: Alois Hotschnig