Xu Lu, Dida

Buch-CoverChinesische Romane schaffen es spielend, die Lesegewohnheiten jedes europäischen Lektüre-Freaks aus den Angeln zu heben.

Irgendwie muss man beim Lesen eines chinesischen Romans immer ganz von vorne anfangen und sich fragen: Was macht ein chinesischer Roman eigentlich, wie lässt er sich mit einem europäischen vergleichen, was ist individuelle Strategie und was ist staatlich vorgegebener Usus?

Ausnahmsweise sollte man mit dem Anhang beginnen, die Autorin Xu Lu klärt nämlich in einem Interview ein paar dieser Fragen auf. Wunderschön ihre politische Antwort auf eine politische Anmache: Sie zitiert Gabriel Garcia Marquez, der bekanntlich nicht viel von jenen Schriftstellern hielt, die mit einem Buch die Regierung stürzen wollten. (408)

Dieses Zitieren ist auch im fiktionalen Text die wichtigste Komponente, wenn es kritisch wird, Gefühle auftauchen oder etwas allzu Prosaisches beschrieben werden soll. So stellt sich immer wieder eine Figur ans Fenster, sieht etwas und zitiert aus einem Klassiker der englischsprachigen Literatur. Manche Figuren haben überhaupt das Literarische im Blut und stellen sich mit einem Gedicht oder einer satten Tagebucheintragung vor.

Protagonistin des Romans ist Vera, 1984 als geistiges Produkt zu Orwell geboren und in der Phönix-Straße heimisch. Der Roman erzählt von der kulturellen Viererbande, worin sich zwei Männer und zwei Frauen auf dem Weg zum Erwachsenwerden zusammenschließen.

Nachdem Di Xia sich uns angeschlossen hatte, war aus unserer lauten Dreierrunde eine Viererbande geworden. (99)

Wir erfahren viel über das Schulwesen, die Diskussionen um Kunst, alle sind belesen und zitieren ununterbrochen aus der Weltliteratur. Landausflüge stehen genauso am Programm wie Museumsbesuche, Prüfungen werden ernst genommen, aber sind eigentlich nur Flügelschläge zum Davonfliegen mit eigenen Ideen. Einen gewissen Einschnitt bilden die Milleniums-Feiern, im neuen Jahrtausend nämlich liegt die Zukunft der vier Heldinnen und Helden.

In chronologisch aufgefädelten Episoden wird das Heranreifen der Künstler und Lebens-Künstler gezeigt. Dabei gibt es jeweils grandiose Einleitungen, etwa dass man den Dezember nicht wegwerfen soll in der Erwartung des neuen Jahres, immerhin wird ein Bekannter im Dezember noch tödlich überfahren. Also hat sich dieser Monat doch noch gelohnt, zumindest philosophisch.

Traurigkeit ist auch angesagt. Der Vater von Vera outet sich und seine Familiengeschichte in einem exzessiven Brief, damit Friede ist rundum. Di Xia stirbt elendiglich und wird karg und herzzerrreißend bestattet.

Am Schluss erhält Vera ein Stipendium für Liverpool und taucht als neue Figur in Europa auf. Denn angefangen hat alles mit einer Dichterlesung, bei der jemand sagt: Erzähl eine Geschichte!

Dida ist eine wunderbare Einbegleitung in ein Stück chinesischer Gegenwartsliteratur. Laut Klappentext ist der Titel auf den Ablauf der Zeit zurückzuführen: Dida, dada, dida, dida klopft der Regen, tickt die Zeit.

Xu Lu, Dida. Roman. Aus d. Chines. von Anna Stecher und Zhang Weiyi.
Bozen: Edition Raetia 2009. 420 Seiten. EUR 15,-. ISBN 978-88-7283-342-1

 

Weiterführende Links:
Edition Raetia: Xu Lu, Dida

 

Helmuth Schönauer, 14-01-2010

Bibliographie

AutorIn

Xu Lu

Buchtitel

Dida

Originaltitel

dida

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Edition Raetia

Übersetzung

Anna Stecher und Zhang Weiyi

Seitenzahl

420

Preis in EUR

15,00

ISBN

88-7283-342-1

Kurzbiographie AutorIn

Xu Lu, geb. 1982 in Wuhan, lebt in Peking.<br /> Zhang Weiyi, geb. 1981 in Peking, lebt in Peking.<br /> Anna Stecher, geb. 1980 in Meran, lebt in Peking.