Martin Kubaczek, Sorge Ein Traum

Buch-CoverEin Spion ist letztlich nichts anderes, als ein begnadeter Erzähler. Er muss die feindlichen Aktivitäten auskundschaften und sie geheim seinen Hintermännern vermitteln.

Genau so geschieht es in der Literatur, der Autor kundschaftet feindliche Dinge aus und übermittelt sie streng geheim dem Leser.

Martin Kubaczek lässt im Tokyo von 1940 einen Spion herum wandeln. Dr. Sorge ist eigentlich für Landwirtschaft zuständig und publiziert unauffällig als Korrespondent. In Wirklichkeit ist der gebürtige Thüringer ein Agent für Moskau, vielleicht aber auch ein Doppelagent für Deutschland. Wer nicht Doppelagent ist erfährt nichts, heißt es einmal, und letztlich ist es egal, für welche Seite spioniert wird, Hauptsache es gibt wie bei jeder Arbeit gute Ergebnisse.

Zu Beginn träumt Sorge von seiner Hinrichtung, aufmerksam nimmt er jedes Detail wahr, selbst die Schlinge um den Hals wird genauestens beschrieben. Aber dann erfolgt ein erotischer Biss seiner Freundin Ran und die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit verschwimmt für immer.

Dr. Sorge dechiffriert Botschaften, deren Code in Briefmarken-Motiven versteckt ist, er trainiert mit einem Taubenzüchter, wie man geheime Nachrichten über Brieftauben außer Landes schmuggeln könnte, er verfasst scheinbar gut recherchierte Artikel, deren Sinn aber darin besteht, die wahre Botschaft zu umhüllen.

Sein Freund und Verbindungsoffizier ist blind, was ihn aber nicht davon abhält, auf Anweisung des Sozius blind mit einem Motorrad zu fahren. Aber auch Japan selbst hat blinde Zonen eingerichtet, die von der Bevölkerung nicht wahr genommen werden sollen. So wird etwa entlang einer Eisenbahnlinie die Aussicht mit Brettern vernagelt, damit niemand auf den Hafen sieht, wo gerade immens aufgerüstet wird.

Allmählich spitzt sich die Lage zu. Die Nachrichten Sorges sind so echt, dass sie in Moskau nicht geglaubt werden. Dafür will man ihn heimholen, was wohl das Todesurteil bedeuten würde. Aber auch die Japaner werden hellhörig und misstrauisch, zumal eine Freundschaft zwischen einer Einheimischen und einem Ausländer mittlerweile als tabu gilt.

Ich stehe vor drei Sackgassen: Moskau, Berlin, Tokio. (221)

Die Lage ist außer Kontrolle geraten. Sorge flüchtet in die Berge und bereitet halb als Traum, halb in Wirklichkeit seine Flucht vor.

Martin Kubaczek erzählt eine innere Agentengeschichte, der Held Sorge spioniert nämlich letzten Endes das Leben und seine Abläufe aus. Was uns äußerlich den Atem anhalten lässt wie bei einem Spionage-Thriller ist diese innere Zerrissenheit, mit der sich die einzelnen Beobachtungen einer Darstellung entziehen. In beinahe religiöser Kontemplation träumt sich Sorge durch das aufgeheizte Japan kurz vor dem Kriegseintritt. Sorge bleibt nur noch die Behutsamkeit, alles zu beobachten, aber auch für ihn ist nicht klar, was eine wesentliche Nachricht ist und was nicht.

Für uns Leser bleibt eine spannende Beobachtungsanleitung, wie wir als Agent unserer selbst das Leben auskundschaften könnten.

Martin Kubaczek, Sorge. Ein Traum. Roman.
Wien, Bozen: Folio 2009. 288 Seiten. EUR 22,50. ISBN 3-8555256-497-5.

 

Helmuth Schönauer, 21-01-2010

Bibliographie

AutorIn

Martin Kubaczek

Buchtitel

Sorge Ein Traum

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Folio

Seitenzahl

288

Preis in EUR

22,50

Kurzbiographie AutorIn

Martin Kubaczek, geb. 1954 in Wien, lebt nach 15 Jahren in Japan jetzt weder in Wien.