Hubert Gundolf, Geschichten der Erinnerung

Buch-Cover

Wie versickert Geschichte? Kann man die Erinnerung retten? Gibt es ein Mittel gegen die Halbwertszeit des Gedächtnisses?

Hubert Gundolfs nachgelassenen Erinnerungen versuchen der Zeit ein Schnippchen zu schlagen. Denn die Voraussetzungen für das Aktualisieren von Vergangenheit sind nicht gerade ideal.

Der Autor ist vor gut zehn Jahren gestorben und hat eine Prosa hinterlassen, die nicht fertig ediert war. Neben den journalistischen und belletristischen Arbeiten hat Hubert Gundolf immer auch Erzählungen der Eigenerinnerung geschrieben. Indem diese Texte nun von den Nachfahren veröffentlich werden, erhalten diese individuellen Eindrücke ein öffentliches Fundament.

Obwohl es sich oft nur um kleine Blitzlichter eines Jugendlichen handelt, werden die Gedanken-Flashes jeweils mit dem Erzählmaterial einer literarischen Gattung aufgefüllt, um ihnen die Kraft eines bemerkenswerten und erzählenswerten Ereignisses zu unterlegen.

So brodelt jäh jene knisternde Stimmung an die Oberfläche, als es politisch an allen Ecken und Enden zu Gewaltausbrüchen kommt, der österreichische Ständestaat in die Nazi-Herrschaft übergeht und alle diese Vorgänge von einer politisch völlig unbeleckten jugendlichen Seele empfunden werden.

Erst später kann das erzählende Ich eine historisch logische Verbindung zwischen dem Waffenversteck des Vaters, der Rettung durch einen befreundeten Gendarm und der permanenten Denunziation durch unauffällige Nachbarn herstellen.

Kleine Widerstandsleistungen, Notizen von einer großen politischen Last, die aber unten am Endverbraucher der Diktatur nicht richtig gedeutet werden kann, begleiten Episoden der Kriegszeit im Hinterland. Nein, Juden haben wir nicht gekannt; Zwei Urnen kamen zurück; Mutterkreuz und eine Adresse in Polen nennen sich beispielsweise Erzählungen, die letztlich nichts zu erzählen vermögen, weil dem erlebenden Ich für die damalige Gegenwart das Bewusstsein fehlt, und das memorierende Ich später unbedingt eine harmonische Geschichte abfassen will, wo es eine Tagebuchnotiz getan hätte.

So ist das eigentliche Thema dieser Prosa der Versuch, aus einer komponierten Erinnerung so etwas wie einen höheren Sinn im Hintennach zu verfassen.

Während ich diese Geschichten niederschreibe, kommt mir manchmal der Gedanke, ob sie bis zu einem gewissen Grad Dokumente der Zeitgeschichte sind. Aber meiner Meinung nach sind Zeitzeugen Menschen, die entweder selbst als Täter oder als Opfer Wesentliches erlebt haben und davon Zeugnis ablegen. (70)

So gibt es auch zwischen der Erinnerung an den Ständestaat, der Nazizeit als Jugendlicher und als Kriegsgefangener zu Kriegsende keinen Unterschied in der dramaturgischen Gestaltung des Stoffes. Alles wird zu einer Erzählung, die vor allem aus Vorsicht besteht.

Hubert Gundolfs Geschichten der Erinnerung zeigen recht einprägsam, wie oft der Stoff größer ist, als die erzählende Hand, die ihm in die Speichen greifen möchte. - Eine erzähltechnisch interessante Versuchsanordnung.

Hubert Gundolf, Geschichten der Erinnerung. Prosa. Eine Geschichte und Jugend in der Nazizeit. Hrsg. von Isabella Plankensteiner.
Innsbruck: Kyrene 2010. 106 Seiten. EUR 13,90. ISBN 978-3-900009-52-6

 

Helmuth Schönauer, 02-04-2010

Bibliographie

AutorIn

Hubert Gundolf

Buchtitel

Geschichten der Erinnerung. Prosa. Eine Geschichte und Jugend in der Nazizeit

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Kyrene

Herausgeber

Isabella Plankensteiner

Seitenzahl

106

Preis in EUR

13,90

ISBN

978-3-900009-52-6

Kurzbiographie AutorIn

Hubert Gundolf, geb. 1928 in Zaunhof / Pitztal, starb 2001 in Innsbruck.