Günther Loewit, Der ohnmächtige Arzt

Buch-CoverWenn jemand ohnmächtig wird, wird der Arzt gerufen. Wie aber nun, wenn der Arzt selbst ohnmächtig ist?

Der Arzt und Schriftsteller Günther Loewit, der Verfasser origineller "Patienten-Romane" wie "Kosinsky", "Krippler" oder "Mürrig" schlüpft zwischendurch in die Latexhaut eines Landarztes und erzählt von der Unmöglichkeit, ein Arzt zu sein, der es allen recht machen könnte.

Denn längst ist der Arzt eingezwickt in der Presse von Pharmaindustrie, Sozialversicherungen und Patienten. Jawohl, der Patient ist im heutigen System der Mächtigste im Gesundheitswesen, wenn der Arzt nicht spurt und die Wünsche des Patienten auf der Stelle erfüllt, wechselt dieser den Arzt und lässt den bisherigen Vertrauensarzt mit seinem Papierkram zurück.

Der Arzt an der Alltagsfront hat längst nichts Göttliches in Weiß mehr an sich, im Gegenteil, an manchen Tagen kommen die Patienten mit ihren vom Internet heruntergeladenen Krankheitsbildern zu ihm und verlangen die entsprechenden Medikamente. Und wehe, es sind nicht die teuersten Pillen, egal welche Wirkstoffe sie beinhalten.

Während der Autor mit unzähligen skurrilen Fallbeispielen von der Ohnmacht der Realitäten und den irrealen Wünschen des zu behandelnden Publikums erzählt, durchläuft er die Stationen des Gesundheitswesens anhand eines Muster-Lebenslaufes. Im Idealfall wird jemand künstlich gezeugt, kommt per Kaiserschnitt auf die Welt, erlebt alle Wirkstoffe und Placebos, die auf dem Periodensystem Platz haben, und stirbt schließlich elendiglich verkabelt, ehe man dem Norm-Patienten noch künstliche Gelenke und Herzschrittmacher entfernt, damit es im Krematorium zu keiner Explosion kommt.

Der Arzt kann dabei hilfreich zusehen und die jeweiligen bürokratischen Dokumentationen updaten. So wird der Arzt Gefangener eines seltsamen Systems und macht aus Versehen einen Harnabstrich in einem Honigglas, als ihm eine Patientin selbstgeschleuderten Honig als menschliche Geste vorbei bringt.

Das Gesundheitssystem hat sich offensichtlich längst von den Menschen verabschiedet und ist zu einem sich selbst steuernden Imperium geworden, Zyniker sprechen ähnlich wie bei der Bildungs- oder Immobilienblase von einer Gesundheitsblase.

Der ohnmächtige Arzt wird an manchen Stellen zu einer literarischen Figur, die nichts zu lachen hat in einer Umwelt scharfer Reglementierungen, Beipackzettel und virtuell vollgeladener Patienten. Und Günther Loewit lässt am Ende seines Parforcerittes durch ein wild gewordenes Gesundheitssystem ein paar Fragen wohltuend offen.

Wenn man alle mit dem Leben und dem Tod verbundenen Leiden ein für allemal verbannen wollte, müsste man auch die Liebe und Lust verbieten. Denn immer noch sind sie für das Kommen und damit auch das Gehen der Menschen verantwortlich. (207)

Günther Loewit, Der ohnmächtige Arzt. Hinter den Kulissen des Gesundheitssystems.
Innsbruck: Haymon 2010. ( = Haymon tb 24). 207 Seiten. EUR 10,-. ISBN 978-3-85218-824-9.

 

Helmuth Schönauer, 22-11-2010

Bibliographie

AutorIn

Günther Loewit

Buchtitel

Der ohnmächtige Arzt

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Haymon

Seitenzahl

207

Preis in EUR

10,00

ISBN

978-3-85218-824-9

Kurzbiographie AutorIn

Günther Loewit, geb. 1958 in Innsbruck, lebt als Arzt und Schriftsteller in Marchegg.