Ulrich Ladurner, Südtiroler Zeitreisen

„Wenn von Südtirol die Rede ist, sprechen wir von der Welt als Ganzer. Die Südtiroler verstehen das auf Anhieb. Sie sind von der weltgeschichtlichen Bedeutung ihrer Heimat ohnehin überzeugt.“ (7)

Ulrich Ladurner, ZEIT-Journalist in Hamburg, geht in seinen Erzählungen liebevoll mit seiner Heimat Südtirol um, er legt vorsichtig Zeit- und Raumkoordinaten über das Land und erreicht dadurch eine Genauigkeit und Schärfe, die das Land aufblättern ohne es nackt zu machen.

So nimmt er sich auf seiner Zeitreise durchaus unspektakuläre Orte vor, an denen sich eine Südtiroler Besonderheit verfestigt, sei es in einer Bahnstation in Toblach um 1905 oder in einem Hyper-Keller in Kaltern des Jahres 2025.
Die Figuren dieser historischen Verfestigungspunkte sind oft von außen zugereist, um eine militärische, monarchische oder europäische Mission im Land zu verwirklichen. Sie stoßen dabei auf Einheimische, die durchaus selbstbewusst jeweils das Beste aus ihrem Schicksal machen und deshalb oft gegen ihren engstirnigen Willen weltoffen und a jour sind.

In den historischen Episoden zeigen sich markante Schattierungen der Südtiroler Identität in allen drei Zeitzuständen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

So versucht ein zugeteilter Bahnhofsvorstand in Toblach den Sozialismus einzuführen, aber seine Revolution um 1905 wird ihm als nettes touristisches Schauspiel für die Gäste des Grand Hotels ausgelegt. Ein Halbes Jahrhundert später kämpft der Pfarrer von Graun gegen die Überflutung des Dorfes und muss feststellen, dass nur ein gesunder Mythos vom gelungenen Untergang die Erinnerung an das Dorf aufrecht erhalten wird.

Mitten im Terror der Sechziger Jahre meldet sich ein Carabiniere, der es in der Kaserne Kalabriens nicht mehr aushält, nach Kiens, und anstatt die Staatsmacht zu exekutieren verliebt er sich in das Dorf. In Meran steigen auf der ersten Folie gerne Künstler und feine Seelen als Kurgäste ab, aber dieser liebliche Ort kann auch zum Tummelplatz für flüchtende Nazis werden, wenn sie sich von ihren Schandtaten auskurieren.

In der Episode „Bozen“ zieht schließlich Ulrich Ladurner alle Register internationaler Komik, indem er einen chinesischen Handelsdelegierten das semi-demokratische Modell des „Hauptmanns“ studieren lässt. So ein Modell funktioniert nur, wenn auch die Bevölkerung durch liebliche Dummheit mitspielt und sich beispielsweise in der Hauptsache an Mode und Bekleidung interessiert zeigt. Als grandioses Beispiel patriotischen Journalismus dient eine Episode, worin der Hund Bello auf dem Rücksitz eines Autos einen harmlosen Unfall südtirolerisch verschmitzt überlebt.

Durchaus an der Gegenwart aufgeknüpft ist eine Geschichte vom Brenner, worin dieser von einer Geschäftsagentur zu einem Disneyland des Konsums umgestaltet wird. Erdbeeren aus dem geschäftstüchtigen Martell gelangen schließlich als der wahre Geschmack Südtirols nach Hongkong und auch der Wein wird so lange gekeltert und gekultet, bis die gesamte Welt vor Südtirol in die Knie geht.

Ulrich Ladrurners Erzählungen sind aberwitzig realistisch, weil sie mit einem schrägen Blick die offizielle Fassade der Gedankengebäude ausleuchten. Und die Figuren werden oft gegen ihren Willen zu Patrioten, weil sie sich nicht gegen den Sog der Geschichte auflehnen sondern das Surfen mit dem jeweiligen Zeitgeist gelernt haben. – Eine feine Art der Geschichtsschreibung.

Ulrich Ladurner, Südtiroler Zeitreisen. Erzählungen.
Innsbruck: Haymon 2012. (= Haymon Taschenbuch 101). 277 Seiten. EUR 12,90. ISBN 978-3-85218-901-7.

 

Weiterführender Link:
Haymon-Verlag: Ulrich Ladurner, Südtiroler Zeitreisen

 

Helmuth Schönauer 21/02/12

Bibliographie

AutorIn

Ulrich Ladurner

Buchtitel

Südtiroler Zeitreisen

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Haymon

Seitenzahl

277

Preis in EUR

12,90

ISBN

978-3-85218-901-7

Kurzbiographie AutorIn

Ulrich Ladurner, geb. 1962 in Meran, lebt in Hamburg.