Christoph Bertsch / Viola Vahrson (Hrsg.), Gegenwelten

Gegenwelten haben immer etwas Geheimnisvolles, Subversives und Freches an sich. Jedes Kunstwerk hat ein Stück Gegenwelt in sich eingebaut womit es beweist, dass die jeweils gegenwärtige Welt auch ganz anders sein könnte.

Der gewaltige „Gegenwelten-Katalog“ begleitet Ausstellungen in Heidelberg, Innsbruck und Schloss Ambras sowie ein umfangreiches Symposium an der Theologischen Fakultät in Innsbruck im Jahre 2013. Neben unzähligen Theorien und Gedankenentwürfen besticht die Matrix, auf der die Ausstellung in Schloss Ambras aufgebaut ist. Zum einen sind die seismischen Entwürfe der Künstler jeweils Gegenwelten zur offiziell verwalteten und kartographierten, andererseits wird das Archiv zu einer Gegenwelt der Gegenwart, was immer es auch sammelt.

An einer Schautafel stehen dann auch die vier entscheidenden Fragen, die das Wesen jeden Archivs beschreiben oder verhüllen: Wer hat gesammelt? / Wie wurde gesammelt? / Was wurde gesammelt? / Wo wurde gesammelt? - Diese Fragen sind quasi die Schleusen, durch die man in die Gegenwelt eindringen kann.

Die ausgestellten Objekte regen oft auf kurzem Weg ein Gegengebilde an, wenn etwa der Reisepass von State of Sabotage ausgestellt wird, mit dem man sich höchstens in die Luft sprengen und dabei 41 qm mitnehmen kann, wie in den besonderen Eigenheiten vermerkt ist. (150) Auch das sogenannte Mecca-Cola mit dem Taste of Religion versetzt einen sofort in einen himmlischen Zustand wie es sonst offensichtlich vom Original-Cola beabsichtigt ist.

Nur auf Umwegen gelangt man in die Gegenwelt, wenn man sich an Lois Weinberger hält, der im Schloss Ambras eine mobile Bauhütte aufstellt, mit dem man im Garten eine Brache anlegen kann. Der Garten erweist sich dabei als Ort außerhalb aller Orte, wie Christoph Bertsch in seiner Analyse bemerkt. (276)

Im Symposium werden die Hauptschlagadern des Kulturtransfers auf Abzweigungen in die Gegenwelt hin untersucht. So sind Filmgenres wie der Italowestern ursprünglich als Gegenwelt zum amerikanischen Western entworfen, in der Poesie gilt das Anhalten von Bewegung bei Houellebecq als Element des Widerstands, Karikaturen sind per se als Gegenwelt zum offiziellen Society-Antlitz angelegt. Und in der Tirolerei schließlich ist von jeher offen, was nun Karikatur und Wesen ist. Ist der Tirolerabend eine Karikatur oder offizielle Politik? Zu guter Letzt driften religiöse Entwürfe oft ins Jenseitige oder ins Äolische, was ja auch bemerkenswerte Gegenwelten sind.

Das Kräftigende an den Gegenwelten ist ihr Impetus, mit dem sie sich gleichsam an Systeme sowie an Einzelne wenden können. Wie in einer guten Revolutionstheorie kann jeder sein persönlicher Revolutionär und seine eigene Gegenwelt sein.

Christoph Bertsch / Viola Vahrson (Hrsg.), Gegenwelten. Ein Forschungs- und Ausstellungsprojekt Uni Hildesheim, Uni Innsbruck, Schloss Ambras.
Innsbruck: Haymon 2014. 471 Seiten. EUR 29,90. ISBN 978-3-7099-7096-6.

 

Weiterführender Link:
Haymon Verlag: Christoph Bertsch / Viola Vahrson (Hrsg.), Gegenwelten

 

Helmuth Schönauer, 18-11-2014

Bibliographie

Buchtitel

Gegenwelten. Ein Forschungs- und Ausstellungsprojekt Uni Hildesheim, Uni Innsbruck, Schloss Ambras

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Haymon Verlag

Herausgeber

Christoph Bertsch / Viola Vahrson

Seitenzahl

471

Preis in EUR

29,90

ISBN

978-3-7099-7096-6

Kurzbiographie AutorIn

Christoph Bertsch, geb. 1955 in Bregenz, ist Professor für Neuere Kunstgeschichte an der Universität Innsbruck.<br />Viola Vahrson geb. 1968, ist Juniorprofessorin an der Universität Heidelberg.