Franz Dodel, Nicht bei Trost. Mikrologien

Literatur ist nicht nur das fertige Ergebnis, das vielleicht als Buch-Kunstwerk vorliegt, Literatur kann auch zu einer Lebensform werden sowohl für den Produzenten als auch für den Rezipienten.

Franz Dodel arbeitet seit über einem Jahrzehnt bereits an einer Vermessung der Welt, der eine einfache Regel zugrunde liegt: Jeden Tag schreiben, das Poetisierte in Zeilen zu fünf und sieben Silben fassen. So steht die Welt mittlerweile beim vierten Band, der den Titel Mikrologien (Kleinigkeiten) ausgefasst hat, mehr ein Ordnungsprinzip als eine Inhaltsangabe.

Die poetische Endlosschleife mit den Fünf- und Siebensilblern rennt dabei auf der rechten Leseseite ungebremst dahin, auf der linken Seite sind die Quellen, Zuträger und Anregungen aufgeschlüsselt, die einen Vers evoziert haben. Beispielsweise sieht man als Zeichnung einen frisch gelandeten russischen Astronauten [sic!], die entsprechenden Verse lauten:

locker geflochten dem Sturz / hinunter in die / baumlose Steppe / wird nichts / entgegengesetzt / mit hochgeklapptem Visier/ lausche ich auf das / Heranrauschen der Schwerkraft (13).

Die größten Bilder der Eremitage sind zu visualisierten Mikroben zusammen gestutzt, Zitate aus Heldenepen auf ein Wort beschnitten, zwischendurch tut sich auch eine leere Seite auf, die den parallel gesetzten Poesie-Strom umso heftiger ins Tosen bringt.

Wie soll man nun diese Mikrologien lesen, die ja keinen Trost spenden können, weil das ganze Projekt ja „Nicht bei Trost“ ist? Das Dünndruckpapier, die unendlichen Weiten der Verse, die zu Ikonen geschrumpften Weltbilder lassen einen beinahe religiösen Zugang andenken. Freilich, wie immer man vorgeht, es ist richtig und falsch zugleich.

Denken schafft keinen Mehrwert / für die Empfindung / die mir etwas bedeutet / was immer mein Hirn / preisgibt an Bildern hat nichts /mit mir zu tun was / auch immer aufblitzen mag / da draußen als Bild / entspricht meiner inneren / Weltwirklichkeit nicht (107)

Durchhalteparolen, Geduld, Aussicht auf noch nie Gelesenes – im Text sind alle Ermunterungen und Ersatz-Tröstungen eingestreut, die Autor und Leser bei Überlebenslaune halten, denn das Projekt lässt kein Ende erkennen, vermutlich kann es nicht einmal der Tod stoppen.

Trotzdem werde ich / weiterhin festhalten an / dieser Übung mit / der ich ordne was vorkommt / was ich verstehe / wende ich an indem ich / rede und schreibe (553)

Tröstlicher kann man die Aufgabe des Schriftstellers, der nicht bei Trost ist, nicht beschreiben.

Franz Dodel, Nicht bei Trost. Mikrologien.
Wien: Edition Korrespondenzen 2014. 605 Seiten. EUR 30,-. ISBN 978-3-902951-09-0.

 

Weiterführende Links:
Edition Korrespondenzen: Franz Dodel, Nicht bei Trost
Wikipedia: Franz Dodel

 

Helmuth Schönauer, 06-12-2014

Bibliographie

AutorIn

Franz Dodel

Buchtitel

Nicht bei Trost. Mikrologien

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Edition Korrespondenzen

Seitenzahl

605

Preis in EUR

30,00

ISBN

978-3-902951-09-0

Kurzbiographie AutorIn

Franz Dodel, geb. 1949 in Bern, lebt in Boll und Bern.