Joyce Carol Oates, Nach dem Unglück schwang ich mich auf

Buch-Cover

Manchmal ist von der ersten Zeile an alles klar, obwohl nichts klar ist. So ist im "Unglücks-Roman" von Joyce Carol Oates die Ich-Erzählerin eine Weile weg, und als sie zurückkommt, ist Mom nicht mehr da.

In drei Schritten bastelt sich die Heldin Jenna eine Welt zusammen, die es ihr ermöglicht, nach dem Tod der Mutter irgendwie zurechtzukommen. Denn es ist kein gewöhnlicher Tod, Mutter und Tochter sind auf der Hudson-Brücke verunglückt, dabei ist Mom gestorben und Jenna ist sich nicht sicher, ob sie ihr nicht ins Lenkrad gegriffen hat.

Der erste Teil nennt sich euphorisch und euphemistisch "im Blauen". Jenna liegt im Spital, kriegt jede Menge Medikamente und erlebt alles in Trance. "Im Blauen sein, das war nichts als ein verdammter Drogentripp." (43) Überhaupt ist diese Zeit gekennzeichnet durch Halbwahrheiten und geschönte Worte. "Reha klingt gut, ist aber die Hölle." (52) Erst allmählich sickert die Zeit vor dem Unfall durch, und auch der Unfall selbst kommt Jenna schließlich als brutale Zeitungsnotiz zu Bewusstsein.

Im zweiten Teil versucht Jenna einen Neustart in der Gegend des Yarrow Lakes. Die neuen Mitschüler sind einerseits sehr zurückhaltend und rücksichtsvoll, andererseits auch brutal, weil sie nichts vom Unglück der Erzählerin wissen. So kann ein simpler Satz wie "Du läufst wie auf dünnem Eis" (103) große Verunsicherung auslösen, weil der Körper ja wirklich lädiert ist. Und als die beste Freundin von ihr als "kaputte Leute, Krüppel, Loser" spricht, ist es vollkommen vorbei.

Zu Neujahr wirft Jenna eine Überdosis ein und beginnt das dritte Kapitel mit einem Suizidversuch. Dabei wird sie von den Erwachsenen durchaus ermuntert, denn die Mutter von Trina ist beispielsweise das ganze Leben lang vollkommen betrunken. Aus purer Widerstandslust klaut Jenna den Briefbeschwerer der Psychiaterin, weil ihr die Therapie auf die Nerven geht. Mit leichter Hand kümmert sich schließlich Crow um die kaputte Seele. Unter dem Schleier einer leichten Liebesbeziehung lernt Jenna wieder etwas, was vielleicht Umgang mit sich selbst heißt. Als es den beiden schließlich gelingt, eine ausgesetzte Brücke zu überqueren, scheint das Ärgste überwunden zu sein.

Joyce Carol Oates erzählt vom unendlich aufwändigen Weg, nach einem Desaster wieder auf die Beine zu kommen. Geduld, Ortswechsel, Therapie, Umarmung - alles braucht seine Zeit, bis es wirkt. Und am Ende ist es die gequälte Seele selbst, die wirkt!

Joyce Carol Oates, Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon. Roman. Aus dem Engl. von Birgitt Kollmann. [Orig.: After the wreck, I picked myself up, spread my wings, and flew away, New York 2006], ab 16 Jahren
München: Dt. Taschenbuch-Verl. 2010. ( = dtv 62448, Reihe Hanser). 316 Seiten. EUR 9,20. ISBN 978-3-423-62448-0.

 

Weiterführende Links:
Dtv-Verlag: Joyce Carol Oates, Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon

 

Helmuth Schönauer, 12-05-2011

 

 

Bibliographie

AutorIn

Joyce Carol Oates

Buchtitel

Nach dem Unglück schwang ich mich auf

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

dtv

Seitenzahl

316

Preis in EUR

EUR 9,20

ISBN

978-3-423-62448-0

Lesealter

Altersangabe Verlag

16

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Joyce Carol Oates, geb. 1938, lebt in New Jersey.

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