Gerhard Jäger, Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod

Je mehr die modernen Alpen durch Einrichtungen der Erholungsindustrie zugepflastert sind, umso heftiger drängt es die Menschen nach Geschichten vom archaisch klaren Überleben, wie es gerade in den Alpen als Super-Mythos erzählt wird.

Gerhard Jäger erzählt von dieser Sehnsucht nach einer spitzen und vor allem noch nicht überfüllten Gebirgswelt, worin man mit wenigen Begriffen auskommt, eben mit Schnee, Feuer, Schuld und Tod. Mehr braucht es nicht und mehr gibt es auch nicht. Die Kunst dieses Romans besteht nun darin, in mehreren Erzählebenen immer mehr Wirklichkeit auszufiltern, bis am Schluss beinahe menschenleer ein Kammerstück vom Überleben in der unendlich weiten Gebirgs- und Naturlandschaft steht.

Aus Amerika reist ein alter Mann an, er hat seine Frau begraben und ein paar indianische Prophezeiungen im Kopf, als er sich in Innsbruck ins Hotel eincheckt, um nahe am Archiv zu forschen. Bei seinen Recherchen stößt er bald auf einen gewissen Max Schreiber, der um 1950 herum in einem Gebirgsdorf alten Geschichten nachgeht und dabei eine neue produziert. Während er sich von Hexenkultur, seltsamen Verwandtschaften und der Unmöglichkeit, ein Gefühlsleben zu führen, berichten lässt, kommt er selbst in den Strudel von Schwarz-Weiß-Gefühlen.

Hinter der Welt aus 1950, als Jahrhundertlawinen katastrophalen Ausmaßes abgehen und scheinbar die Gegenwart vernichten, tun sich noch archaische Partikel auf, als eine Frau wegen Hexerei getötet worden sein soll, und auch sonst quer durch die Sippschaften genetische Querverbindungen gelegt worden sind. Diese Geschichten gehen dann noch einmal hundert Jahre zurück, und jetzt sind wir an dem Punkt, wo die Alpen leer, wild und grausam sind und emotional in einer Hand Platz haben.

Wie in einem Märchen werden Schauplätze der Romantik, Entleerung, Witterung und Katastrophe inszeniert. Die Alpen sind eine Geisterbahn vor der Erfindung der Eisenbahn. Die Rätsel und romantischen Verrenkungen funktionieren einwandfrei, weil sich der moderne Leser immer die katastrophal überfüllte Gegenwart als Gegenfolie vorstellen muss.

Die Kerngeschichte handelt von einem Beziehungsdrama, das mit den Titelwörtern gut umschrieben ist. Aus Gründen der Spannungs-Fairness soll die Lösung hier nicht verraten werden. Nur so viel, die einzelnen Schichten lösen sich wieder auf und am Schluss bleiben wie in einem klassischen Rahmenroman Leser und begleitender Held geläutert übrig.

Gerhard Jäger schreibt sich selbst beeindruckend suggestiv in die Ferne, ins Gelände, in die Geschichte. Nicht umsonst bezeichnet er sich im Dankesnachwort als Alter Ego des Max Schreiber, der unbarmherzig ins alpine Outback vordringen muss. Der Roman ist über weite Strecken romantisch und verwittert, wie wir uns oft eine Landschaft bauen, wenn wir die Modelleisenbahn aufstellen. Die Wirklichkeit schaut anders aus, das wissen wir, aber Gerhard Jäger hilft uns beim Abhauen in heftige Bilder, wie wir sie schon lange nicht mehr vorgelesen bekommen haben.

Gerhard Jäger, Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod. Roman
München: Blessing Verlag 2016, 400 Seiten, 23,70 €, ISBN 978-3-89667-571-2

 

Weiterführender Link:
Blessing Verlag: Gerhard Jäger, Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod

 

Helmuth Schönauer, 27-11-2016

Bibliographie

AutorIn

Gerhard Jäger

Buchtitel

Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Blessing Verlag

Seitenzahl

400

Preis in EUR

23,70

ISBN

978-3-89667-571-2

Kurzbiographie AutorIn

Gerhard Jäger, geb. 1966 in Dornbirn, lebt in Imst.