Hans-Joachim Schönknecht Mythos - Wissenschaft - Philosophie

hans-joachim schönkneckt, Mythos Wissenschaft„In der ersten Hälfte des 6. Jh. v. Chr. ereignete sich in einer Küstenstadt Groß-Griechenlands ein Vorgang von weitreichender, ja man darf sagen: von welthistorischer Bedeutung, »eine geistesgeschichtliche Revolution unerhörten Ausmaßes« deren Auswirkungen allerdings erst mehr als zweitausend Jahre später zu voller Geltung kommen.“ (Bd. 1, S. 13)

Hans-Joachim Schönknecht verfolgt in seiner auf drei Bände ausgelegten Arbeit das Ziel, den Ursprung und die Entstehungsgeschichte wissenschaftlichen Denkens zu erforschen. Dabei fokussiert er seinen Blick auf die Philosophie und Naturwissenschaften in ihren Anfängen bei den griechischen Naturphilosophen und deren kulturellen Grundlage bei Homer und Hesiod.

Auch wenn die Entstehung der vorsokratischen Philosophie einen „radikalen denkerischen Neubeginn“ bedeutet, lässt sie sich in als Teil der griechischen Geschichte und den Einfluss der orientalischen Welt auf diese ausmachen. Ein weiterer wichtiger Aspekt für diese Entwicklung war die zunehmende Distanz von den religiös fundierten Erklärungsmustern der Mythen. Dazu werden in Band 1 die Schriften Homers und Hesiods näher untersucht, welche die griechische Religion in ihrer olympischen Ausformung maßgeblich gestaltet haben.

Zunächst wird der Paradigmenwechsel in der Art des Denkens aufgezeigt, der später als Wechsel vom „Mythos zum Logos“ bezeichnet wird. Die Entstehung des wissenschaftlichen Denkens fällt mit dem Ursprung des „Griechentums“ selbst zusammen, was mit einem kurzen Ausblick in die Entwicklung der griechischen Identität näher erläutert wird. Dabei wird auch die „Freisetzung des Individuums“ (S. 71) als eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung der Wissenschaft ausgewiesen.

Im Kapitel „Thales von Milet und der Ursprung der Wissenschaft“ wird die Bedeutung des milesischen Philosophen und seiner Bedeutung als Mathematiker, Naturforscher und Astronomen sowie sein „Paradigma der natürlichen Ursache“ als neuen Ansatz seines Denkens und Erklärens erläutert und gewürdigt.

In weiterer Folge werde die Anaximandros von Milet und seinem apeiron als „arché“, als Ursprung allen Seins sowie sein Schüler Anaximenes von Milet, der die Luft als „arché“ bestimmt und damit die Verbindung zwischen Thales und Anaximandros herstellt. Ein Blick in die wissenschaftliche Zukunft zeigt die Bedeutung seiner Theorie von der stofflichen Transformation auf.

Nach der Darstellung der Gründungsvater des wissenschaftlichen Denkens setzt sich das Kapitel „Mythos – Dichtung – Theorie“ mit der Bedeutung von Homers und Hesiods Epen als Vorbereitung für die Entwicklung des Übergangs vom Mythos zum Logos auseinander, die in der Antike selbst, aufgrund der fehlenden Distanz, noch nicht erkannt werden konnte.

Der zweite Band stellt die weiteren großen Naturphilosophen in der Reihe der Vorsokratiker und ihre zentralen Theorien und Denkansätze näher vor. Beschäftige sich der 1. Band mit der „Entstehung der neuen Wissensform“ dem Übergang vom Mythos zum Logos behandelt der 2. Band die „Entfaltung des theoretischen „Weltbezugs“.

Aufgrund des Einflusses des Denkens und der Konzeptionen der älteren Philosophen auf die Jüngeren wählt Schönknecht eine chronologische Vorgangsweise, die aber auch auf ihre Schwierigkeiten stößt, die mit der Chronologie der Antike im Allgemeinen und dem mitunter spärlichen biographischen Wissen der einzelnen Philosophen verbunden sind.

Als erster Denker wird Xenophanes vorgestellt, dessen philosophische und naturwissenschaftliche Leistung heute überaus unterschiedlich bewertet wird. Einig sind sich die Forscher hingegen über die Bedeutung seiner Kritik am Mythos und der Religion.

Der nächste Abschnitt setzt sich mit dem geheimnisumwitterten Pythagoras und der pythagoreischen Schule auseinander, wo Zahl und Harmonie als das zentrale Wesen der Welt propagiert werden. Neben einer ausgeprägten Zahlenmystik zeichnen sich die Pythagoreer aber auch als Begründer der wissenschaftlichen Mathematik aus.

Günstiger liegt die Quellenlage beim Heraklit, der als überaus streitbarer Philosoph überliefert worden ist. Neben seiner Grundaussage des panta rei, alles fließt, ist auch sein Begriff des „Logos“, der für das naturwissenschaftliche Denken von zentraler Bedeutung sein wird.

Parmenides von Elea wird als Zeitgenosse des Heraklit vorgestellt, der eine völlig entgegengesetzte Theorie aufstellt. Der ständigen Bewegung Heraklits setzt Parmenides die Idee vom unveränderlichen Sein entgegen. „Nur sein ist und Nichtsein nicht ist“ (S. 227) Parmenides vielfach befremdliches „Seins-Denken“ wird in der Gegenwart von Martin Heidegger unter neuen Vorzeichen wieder aufgegriffen werden.

Als weitere bedeutende Philosophen der Vorsokratiker folgender Naturforscher und Arzt Empedokles von Agrigent, Anaxagoras von Klazomenai und die Atomisten Leukipp und Demokrit als „Höhepunkt Vollendung des Antiken Naturalismus“ (S. 373)

Der dritte Band stellt in „Teil III: Vollendung und Selbstzersetzung der Theorie“ die Auseinandersetzung Platons und Aristoteles‘ mit dem antiken Naturalismus dar, der sich in seiner Vollendung auf zwei Prinzipien reduziert hat: Atome und Leere. Die für antikes Denken an ihre Grenzen stoßende Rationalisierung der Weltdeutung, wird vor dem weiterhin bestehenden mythischen Weltverständnis abgelehnt. Auch die Philosophie Platons und Aristoteles reagiert auf den Atomismus. Platons schafft eine eigene Philosophie, die als Paradigmenwechsel vom Erkenntnisinteresse von der Naturphilosophie hin zur Ethik, von der theoretischen zur praktischen Philosophie verstanden werden kann. Das radikal aufklärerische Denken der Atomisten, in dem jegliche Transzendenz verloren geht, wird von Platon zutiefst abgelehnt und als gefährlich betrachtet.

Während Platon kein Wort über den Atomismus verliert, setzt sich Aristoteles umso gründlich damit auseinander. Aber auch Aristoteles lehnt den Atomismus ab, was in seiner „veränderten philosophischen Grundeinstellung“ (Bd. 3, S. 112) begründet liegt. Er lehnt die Vorstellung von Atomen und Leerem als letzte Gegebenheiten ebenso ab, wie den Gedanken von den Atomen als unteilbare Körper.

In der folgenden Zeit des Hellenismus spielen das Denken Epikurs und der Epikureer eine gewisse Bedeutung, die u.a. in der Fortführung des vom Atomismus Gedankens der Grenzenlosigkeit des Kosmos und der Vorstellung eines „Weltenpluralismus“ (S. 213) besteht und in die Zukunft weist. Im Stoizismus schließlich wird der Primat der Ethik über die Physis endgültig festgeschrieben. Für den Bereich der Physik werden keine neuen Erkenntnisse gewonnen, sondern vor allem auf die heraklitische Naturphilosophie und auf Aristoteles zurückgegriffen.

„Teil IV: Spätantike Unterdrückung der Idee sachhaltigen Wissens“ beschäftigt sich mit der zunehmenden Flucht ins Irrationale, am Beispiel der Mysterienkulte, auseinander und der anschließenden zurückweisenden Haltung gegenüber Wissbegierde und Neugier im Christentum, wie sie besonders von Augustinus gefordert wird. Ein abschließender Ausblick zeigt kurz den weiteren Entwicklungsverlauf naturwissenschaftlichen Denkens bis in die Neuzeit auf.

Hans-Joachim Schönknechts „Mammutwerk“ über die Entstehung des wissenschaftlichen und philosophischen Denkens im Altertum umfass mehr als 1300 Seiten. Aber anstatt trockener Materie findet sich eine Fülle an interessantem und erläuterndem Hintergrundwissen, das ein überaus spannendes Hintergrundkolorit zum Entstehen wissenschaftlichen Denkens liefert.

Detailliert werden Voraussetzung und Gedankengänge für verschiedenen philosophische Entwicklungen aufgezeigt und revolutionäre Denkansätze und Erklärungsmodelle entsprechend gewürdigt. Eine überaus fundierte und informative Darstellung der Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens in der Antike, die durch ihre verständliche Sprache und klare Struktur zu überzeugen weiß.

Hans-Joachim Schönknecht, Mythos - Wissenschaft - Philosophie, Zur Genese der okzidentalen Rationalität in der griechischen Antike, Band 1 - 3
Marburg: Tectum Verlag 2017, 1328 Seiten, 99,95 €, ISBN 978-3-8288-3867-3


Weiterführende Links:
Nomos: Hans-Joachim Schönknecht, Mythos - Wissenschaft – Philosophie, 3 Bde.
Tectum Verlag

 

Andreas Markt-Huter, 14-01-2019

Bibliographie

AutorIn

Hans-Joachim Schönknecht

Buchtitel

Mythos - Wissenschaft - Philosophie, Zur Genese der okzidentalen Rationalität in der griechischen Antike

Erscheinungsort

Marburg

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Tectum Verlag

Reihe

Mythos - Wissenschaft - Philosophie, Bd. 1 - 3

Seitenzahl

1328

Preis in EUR

99,95

ISBN

978-3-8288-3867-3

Kurzbiographie AutorIn

Hans-Joachim Schönknecht wurde in Eberswalde, Berlin geboren, studierte Philosophie, Germanistik und Romanistik und arbeitete anschließend als Gymnasiallehrer in den Fächern Deutsch, Philosophie und Italienisch. Daneben erfolgten zahlreiche Publikationen von Schriften Pierre de Coubertins sowie regelmäßige Beiträge zur Philosophie in der Zeitschrift Genius - Gesellschaft für freiheitliches Denken.