Frank Rexroth, Fröhliche Scholastik

frank rexroth, fröhliche scholastik„Dieses Buch beansprucht nicht, eine umfassende Geschichte dieser frühen Wissenschaft zu liefern, denn anstelle einer Synthese will es einen Problemaufriss bieten. Zu diesem Zweck begibt es sich auf die Fährte einiger zentraler Denkformen, die Wissenschaft erst ermöglicht haben, und es fragt nach den Bedingungen und zugleich den sozialen Folgen dieser Denkformen.“ (S. 17)

Frank Rexroth „Fröhliche Scholastik“ behandelt die „Wiederanfänge der okzidentalen Wissenschaft“ im „lateinischen Europa“ und untersucht Prozesse, die in der Mitte des 11. Jahrhunderts ihren Anfang genommen haben, um bald nach 1200 in Form der Universität eine „Organisationsform für wissenschaftliches Wissen“ zu entwickeln.

Frank Rexroth wählt einen ganz persönlichen Ausgangspunkt für seine beeindruckende Monographie über die Revolution der Wissenschaft und die Entstehung der Universität im Mittelalter. Die Strukturen und Paradigmen der eigenen Studienerfahrung vor Augen richtet sich sein Blick in die Vergangenheit auf die Anfänge wissenschaftlichen Lebens im frühen Mittelalter, in eine Zeit, in der die Universitäten noch keine Form angenommen hatten.

Zunächst einmal stellt Rexroth verschiedene historische Urteile über das wie und wann der Entstehung der okzidentalen Wissenschaft zur Diskussion, deren Anfänge vom 18./19. Jahrhundert allmählich immer weiter nach hinten datiert werden. „Die fröhliche Scholastik“ wird als Schwerpunkt der Untersuchung den Zeitraum zwischen 1050 bis 1250 wählen. Hauptmerkmal dieser Zeit war es,

„[...] dass in Europa […] während dieser Ära zum ersten Mal seit der Antike ein notwendiges Moment wissenschaftlichen Denkens aufscheint: seine selbstreferentielle Qualität.“ (S. 33)

Damit war gemeint, dass die Wissenschaft primär auf sich selbst Bezug nehmen kann und nicht in Diensten der Religion oder der Herrschaft gestellt wird.

In zehn Kapiteln werden die Anfänge der Wissenschaft aufgerollt. Zunächst eine Geschichte des historischen Blicks auf die Anfänge der wissenschaftlichen Gelehrsamkeit im Mittelalter. Im zweiten Kapitel „Schule der Loyalität: Lehren und Lernen im frühen Mittelalter“ werden verschiedene Aspekte des Lernens und der Schulen aufgezeigt wie das Lesen lernen oder die Kloster- und Kathedralschulen als Orte der Gelehrsamkeit. Aber auch das enge Verhältnis zwischen Schüler und Lehrer sowie die Beziehung zwischen den Studenten als Gruppe.

In den weiteren Kapiteln wird die Schule als „utopischer Ort in der Ära der Kirchenreform“ dargelegt, in der die auf „gemeinsame Erkenntnis gegründete Lebensgemeinschaft die Basis für das gemeinsame Philosophieren“ bildet und sich das Konzept der artes liberales, der Sieben freien Künste herausbildet. Eine weitere wichtige Erscheinung war die philosophische Auseinandersetzung mit der Dialektik der Wanderlehrer dieser Zeit, in der die Begriffe und das logische Argumentieren geschärft worden sind.

Kapitel IV „Die Renaissance des wissenschaftlichen Denkens und Wissens (um 1070 – 1115) zeigt am Beispiel des Lebens von Wilhelm von Champeaux auf, wie die Wissenschaft zunehmend versucht, ihren eigenen Ansprüchen zu genügen und wie Wissen neu verstanden und gebraucht worden ist.

Im fünften Kapitel steht der große Philosoph Peter Abaelard und seine überragende Bedeutung für den weiteren Aufschwung der Wissenschaft im Zentrum der Betrachtung. Mit seinen Auseinandersetzungen mit den Widersprüchen in der Heiligen Schrift und neuen Vorstellungen vom Forschungsprozess selbst, mit dem Zweifel als Ausgangspunkt für eine neue Methode der Wahrheitsfindung, weist er weit in eine neue Zeit hinein.

Das folgende Kapitel „Abaelards Schulen: Eine Sozialgeschichte der Wahrheit“ zeigt die Anfänge der Schule, des Verhältnisses zwischen Lehrer und Schüler und Schülern zueinander, die Entwicklung des Philosophierens als Lebensform sowie die Kritik an der neuen Wissenschaft durch Persönlichkeiten wie Bernhard von Clairvaux.

Das Kapitel „Das Milieu der Schule in Paris“ beschreibt die erstaunliche Entwicklung des wissenschaftlichen Lebens in Paris, das zunehmende auch das Interesse der politischen Macht erregt. Kapitel VIII „Wissen erzeugt und ordnet die Dinge der Welt“ zeigt den meist verschwommenen Unterschied, mit denen der monastische, der scholastische und der humanistische Bildungsdiskurs die Mitte des 12. Jahrhunderts geprägt hat und mit der sich die Wissenschaft zunehmend dem äußeren Leben zuzuwenden beginnt.

Im Kapitel „Wahrheit und Nützlichkeit“ wird das Verhältnis der Scholastiker zur neuen Wissenschaft vom Recht näher beleuchtet. Vor allem die Bedeutung und der gute Ruf der Rechtswissenschaft in Bologna prägt dieses Verhältnis, da die italienische Universität für ihren ausgezeichneten Ruf in der Ausbildung rhetorischer und ästhetischer Kenntnisse berühmt war.

Das letzte Kapitel „»Wir die Universität«: Die Gelehrtengilde“ zeigt die Neuaufstellung der Welt der Schulen in Paris um 1200, die sich weit vom ursprünglichen Programm der Sieben freien Wissenschaften entfernt hat. Die universitäre Ordnung, der Gruppenzwang und die Präsenzpflicht werden zunehmend enger gefasst und das schulische Leben und wissenschaftliche Denken immer stärker reglementiert und eingeschränkt. Daneben wird auch die Ausbreitung der Universitäten behandelt, die sich ausgehenden von den drei frühesten Einrichtungen in Paris, Bologna und Oxford ab dem 13. Jahrhundert in Frankreich, Italien, England und Spanien auszubreiten begannen.

Frank Rexroth zeigt mit ebenso viel Detailwissen wie Blick für die großen Entwicklungen wie sich das wissenschaftliche Leben in der Zeit zwischen 1050 bis 1250 rasant zu entfalten vermochte. Dabei stellen sich die Freiheit ungehinderten Denkens als die eigentlich treibende Kraft dieser Entwicklung heraus, womit sich der Blick auf die Vergangenheit und die Gegenwart wieder vereinen.

Ein überaus empfehlenswertes Sachbuch das am Beispiel der Entstehung des wissenschaftlichen Denkens im Mittelalter zeigt, wie gesellschaftliche Prozesse ihre Richtung verändern können und welche Folge es haben kann, wissenschaftliche Freiheit und wissenschaftliches Denken zu reglementieren und einzugrenzen.

Frank Rexroth, Fröhliche Scholastik. Die Wissenschaftsrevolution des Mittelalters, m. zahlr. Abb. und Karten
München: C.H. Beck Verlag 2019, 505 Seiten, 30,80 €, ISBN 978-3-406-72521-0

 

Weiterführende Links:
C.H. Beck Verlag: Frank Rexroth, Fröhliche Scholastik
Wikipedia: Frank Rexroth

 

Andreas Markt-Huter, 18-09-2019

Bibliographie

AutorIn

Frank Rexroth

Buchtitel

Fröhliche Scholastik. Die Wissenschaftsrevolution des Mittelalters

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2019

Verlag

C. H. Beck Verlag

Seitenzahl

505

Preis in EUR

30,80

ISBN

978-3-406-72521-0

Kurzbiographie AutorIn

Frank Rexroth wurde in Kork bei Baden in Deutschland geboren und ist Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Georg-August-Universität Göttingen.